Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

Handlung ohne Bewußtseyn der Triebfedern, oder die Macht der dunklen Jdeen.

Jn unzähligen Fällen handeln wir nach innern Triebfedern unsrer Seele, ganz mechanisch, ohne daß wir diese Triebfedern selbst anzugeben wissen; zum deutlichen Beweise, daß nicht immer vor der Handlung eines vernünftigen Wesens eine klare Vorstellung vorhergehen müsse. Aber darin mögen wir uns wohl oft irren, daß wir jener mechanischen Handlungsart gewisse dunkle Jdeen unterschieben, die gar nicht vorhanden waren, deren Daseyn uns aber ausser allem Zweifel schien, weil sie durch einen hinterher folgenden Zufall gleichsam verificirt wurden. Grade dies ist der Fall mit den meisten Ahndungen. Es schwebt uns eine gewisse dunkle Jdee von irgend einem kommenden Uebel vor - (oft war es freilich wohl nur eine Geburt der Hypochondrie, oder der Einbildungskraft überhaupt), wir haben keine Ruhe vor dem Bilde, es begleitet uns überall hin, und hinterher kommt dann auch wirklich ein Unglück, worauf sich nun jenes dunkle Gefühl bezogen haben muß, es mag einen Zusammenhang damit haben, oder nicht. Hat man sich sogar vermöge jenes Gefühls das Unglück, welches nachher kam, aus Vermuthungsgründen ziemlich deutlich vorgestellt: so scheint kein Schluß gewöhnlicher zu seyn als der, daß es uns geahndet habe.



Handlung ohne Bewußtseyn der Triebfedern, oder die Macht der dunklen Jdeen.

Jn unzaͤhligen Faͤllen handeln wir nach innern Triebfedern unsrer Seele, ganz mechanisch, ohne daß wir diese Triebfedern selbst anzugeben wissen; zum deutlichen Beweise, daß nicht immer vor der Handlung eines vernuͤnftigen Wesens eine klare Vorstellung vorhergehen muͤsse. Aber darin moͤgen wir uns wohl oft irren, daß wir jener mechanischen Handlungsart gewisse dunkle Jdeen unterschieben, die gar nicht vorhanden waren, deren Daseyn uns aber ausser allem Zweifel schien, weil sie durch einen hinterher folgenden Zufall gleichsam verificirt wurden. Grade dies ist der Fall mit den meisten Ahndungen. Es schwebt uns eine gewisse dunkle Jdee von irgend einem kommenden Uebel vor – (oft war es freilich wohl nur eine Geburt der Hypochondrie, oder der Einbildungskraft uͤberhaupt), wir haben keine Ruhe vor dem Bilde, es begleitet uns uͤberall hin, und hinterher kommt dann auch wirklich ein Ungluͤck, worauf sich nun jenes dunkle Gefuͤhl bezogen haben muß, es mag einen Zusammenhang damit haben, oder nicht. Hat man sich sogar vermoͤge jenes Gefuͤhls das Ungluͤck, welches nachher kam, aus Vermuthungsgruͤnden ziemlich deutlich vorgestellt: so scheint kein Schluß gewoͤhnlicher zu seyn als der, daß es uns geahndet habe.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0012" n="10"/><lb/>
          <div n="3">
            <head>Handlung ohne Bewußtseyn der Triebfedern, oder die Macht der dunklen                   Jdeen.</head><lb/>
            <note type="editorial">
              <bibl>
                <persName ref="#ref2"><note type="editorial"/>Pockels, C. F.</persName>
              </bibl>
            </note>
            <p>Jn unza&#x0364;hligen Fa&#x0364;llen handeln wir nach innern Triebfedern unsrer                   Seele, ganz mechanisch, ohne daß wir diese Triebfedern selbst anzugeben wissen;                   zum deutlichen Beweise, daß nicht immer vor der Handlung eines vernu&#x0364;nftigen Wesens                   eine klare Vorstellung vorhergehen mu&#x0364;sse. Aber darin mo&#x0364;gen wir uns wohl oft irren,                   daß wir jener mechanischen Handlungsart gewisse dunkle Jdeen <hi rendition="#b">unterschieben,</hi> die gar nicht vorhanden waren, deren Daseyn uns aber                   ausser allem Zweifel schien, weil sie durch einen hinterher folgenden Zufall                   gleichsam <hi rendition="#b">verificirt</hi> wurden. Grade dies ist der Fall mit                   den meisten Ahndungen. Es schwebt uns eine gewisse dunkle Jdee von irgend einem                   kommenden Uebel vor &#x2013; (oft war es freilich wohl nur eine Geburt der Hypochondrie,                   oder der Einbildungskraft u&#x0364;berhaupt), wir haben keine Ruhe vor dem Bilde, es                   begleitet uns u&#x0364;berall hin, und hinterher kommt dann auch wirklich ein Unglu&#x0364;ck,                   worauf sich nun jenes dunkle Gefu&#x0364;hl bezogen haben muß, es mag einen Zusammenhang                   damit haben, oder nicht. Hat man sich sogar vermo&#x0364;ge jenes Gefu&#x0364;hls das Unglu&#x0364;ck,                   welches nachher kam, aus Vermuthungsgru&#x0364;nden ziemlich deutlich vorgestellt: so                   scheint kein Schluß gewo&#x0364;hnlicher zu seyn als der, daß es uns <hi rendition="#b">geahndet</hi> habe.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0012] Handlung ohne Bewußtseyn der Triebfedern, oder die Macht der dunklen Jdeen. Jn unzaͤhligen Faͤllen handeln wir nach innern Triebfedern unsrer Seele, ganz mechanisch, ohne daß wir diese Triebfedern selbst anzugeben wissen; zum deutlichen Beweise, daß nicht immer vor der Handlung eines vernuͤnftigen Wesens eine klare Vorstellung vorhergehen muͤsse. Aber darin moͤgen wir uns wohl oft irren, daß wir jener mechanischen Handlungsart gewisse dunkle Jdeen unterschieben, die gar nicht vorhanden waren, deren Daseyn uns aber ausser allem Zweifel schien, weil sie durch einen hinterher folgenden Zufall gleichsam verificirt wurden. Grade dies ist der Fall mit den meisten Ahndungen. Es schwebt uns eine gewisse dunkle Jdee von irgend einem kommenden Uebel vor – (oft war es freilich wohl nur eine Geburt der Hypochondrie, oder der Einbildungskraft uͤberhaupt), wir haben keine Ruhe vor dem Bilde, es begleitet uns uͤberall hin, und hinterher kommt dann auch wirklich ein Ungluͤck, worauf sich nun jenes dunkle Gefuͤhl bezogen haben muß, es mag einen Zusammenhang damit haben, oder nicht. Hat man sich sogar vermoͤge jenes Gefuͤhls das Ungluͤck, welches nachher kam, aus Vermuthungsgruͤnden ziemlich deutlich vorgestellt: so scheint kein Schluß gewoͤhnlicher zu seyn als der, daß es uns geahndet habe.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/12
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/12>, abgerufen am 23.11.2024.