Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

Jch habe, sagt Montagne*) im Capitel von der Furcht, viele Leute gesehen, die vor Furcht unsinnig geworden sind. Auch bei den richtigsten Gemüthern verursacht sie, so lange ihr Anfall dauert, schreckliche Verirrungen. Jch rede nicht blos von dem Pöbel, welchem sie bald seine aus den Gräbern hervorkommenden und in ihr Schweistuch eingehüllten Vorfahren, bald Währwölfe, Kobolte und andre Ungeheure vorstellt; wie oft hat sie nicht sogar den Soldaten, wo sie doch am wenigsten Plaz finden sollte, eine Heerde Schaafe in eine Geschwader Kürassiere, Rohr und Schilf in Geharnischte und Lanzenknechte, unsere Freunde in unsre Feinde u.s.w. verwandelt - bald macht sie uns Flügel an die Fersen, bald nagelt sie uns die Füße an. - "Jch meines Theils, sezt er sehr naiv hinzu, fürchte mich vor nichts so sehr, als vor der Furcht."

Je lebhafter unsre Einbildungskraft, und je geschickter sie ist, den gefürchteten Gegenstand zu vergrößern, je weniger Fassungskraft und innere Stärke der Seele uns eigen ist, und je leichter unsre Nerven erschüttert werden können, je mehr pflegen wir auch von jener Leidenschaft beunruhigt zu werden. Jeder Mensch sollte an sich mit allen Kräf-

*) Montagne's Versuche enthalten die lehrreichsten Beiträge zur Psychologie, sind aber bisher von unsern Psychologen viel zu wenig genuzt worden. P.

Jch habe, sagt Montagne*) im Capitel von der Furcht, viele Leute gesehen, die vor Furcht unsinnig geworden sind. Auch bei den richtigsten Gemuͤthern verursacht sie, so lange ihr Anfall dauert, schreckliche Verirrungen. Jch rede nicht blos von dem Poͤbel, welchem sie bald seine aus den Graͤbern hervorkommenden und in ihr Schweistuch eingehuͤllten Vorfahren, bald Waͤhrwoͤlfe, Kobolte und andre Ungeheure vorstellt; wie oft hat sie nicht sogar den Soldaten, wo sie doch am wenigsten Plaz finden sollte, eine Heerde Schaafe in eine Geschwader Kuͤrassiere, Rohr und Schilf in Geharnischte und Lanzenknechte, unsere Freunde in unsre Feinde u.s.w. verwandelt – bald macht sie uns Fluͤgel an die Fersen, bald nagelt sie uns die Fuͤße an. – »Jch meines Theils, sezt er sehr naiv hinzu, fuͤrchte mich vor nichts so sehr, als vor der Furcht.«

Je lebhafter unsre Einbildungskraft, und je geschickter sie ist, den gefuͤrchteten Gegenstand zu vergroͤßern, je weniger Fassungskraft und innere Staͤrke der Seele uns eigen ist, und je leichter unsre Nerven erschuͤttert werden koͤnnen, je mehr pflegen wir auch von jener Leidenschaft beunruhigt zu werden. Jeder Mensch sollte an sich mit allen Kraͤf-

*) Montagne's Versuche enthalten die lehrreichsten Beitraͤge zur Psychologie, sind aber bisher von unsern Psychologen viel zu wenig genuzt worden. P.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0016" n="14"/><lb/>
            <p>Jch habe, sagt <hi rendition="#b">Montagne</hi>*)<note place="foot"><p>*) Montagne's Versuche enthalten die lehrreichsten Beitra&#x0364;ge zur Psychologie,                         sind aber bisher von unsern Psychologen viel zu wenig genuzt worden.</p><p rendition="#right"><hi rendition="#b"><persName ref="#ref0002"><note type="editorial">Pockels, Carl Friedrich</note>P.</persName></hi></p></note> im Capitel von der Furcht, viele Leute gesehen, die vor Furcht unsinnig                   geworden sind. Auch bei den richtigsten Gemu&#x0364;thern verursacht sie, so lange ihr                   Anfall dauert, schreckliche Verirrungen. Jch rede nicht blos von dem Po&#x0364;bel,                   welchem sie bald seine aus den Gra&#x0364;bern hervorkommenden und in ihr Schweistuch                   eingehu&#x0364;llten Vorfahren, bald Wa&#x0364;hrwo&#x0364;lfe, Kobolte und andre Ungeheure vorstellt; wie                   oft hat sie nicht sogar den Soldaten, wo sie doch am wenigsten Plaz finden sollte,                   eine Heerde Schaafe in eine Geschwader Ku&#x0364;rassiere, Rohr und Schilf in Geharnischte                   und Lanzenknechte, unsere Freunde in unsre Feinde u.s.w. verwandelt &#x2013; bald macht                   sie uns Flu&#x0364;gel an die Fersen, bald nagelt sie uns die Fu&#x0364;ße an. &#x2013; »Jch meines                   Theils, sezt er sehr naiv hinzu, fu&#x0364;rchte mich vor nichts so sehr, als vor der                   Furcht.«</p>
            <p>Je lebhafter unsre Einbildungskraft, und je geschickter sie ist, den gefu&#x0364;rchteten                   Gegenstand zu vergro&#x0364;ßern, je weniger Fassungskraft und innere Sta&#x0364;rke der Seele uns                   eigen ist, und je leichter unsre Nerven erschu&#x0364;ttert werden ko&#x0364;nnen, je mehr pflegen                   wir auch von jener Leidenschaft beunruhigt zu werden. Jeder Mensch sollte an sich                   mit allen Kra&#x0364;f-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0016] Jch habe, sagt Montagne*) im Capitel von der Furcht, viele Leute gesehen, die vor Furcht unsinnig geworden sind. Auch bei den richtigsten Gemuͤthern verursacht sie, so lange ihr Anfall dauert, schreckliche Verirrungen. Jch rede nicht blos von dem Poͤbel, welchem sie bald seine aus den Graͤbern hervorkommenden und in ihr Schweistuch eingehuͤllten Vorfahren, bald Waͤhrwoͤlfe, Kobolte und andre Ungeheure vorstellt; wie oft hat sie nicht sogar den Soldaten, wo sie doch am wenigsten Plaz finden sollte, eine Heerde Schaafe in eine Geschwader Kuͤrassiere, Rohr und Schilf in Geharnischte und Lanzenknechte, unsere Freunde in unsre Feinde u.s.w. verwandelt – bald macht sie uns Fluͤgel an die Fersen, bald nagelt sie uns die Fuͤße an. – »Jch meines Theils, sezt er sehr naiv hinzu, fuͤrchte mich vor nichts so sehr, als vor der Furcht.« Je lebhafter unsre Einbildungskraft, und je geschickter sie ist, den gefuͤrchteten Gegenstand zu vergroͤßern, je weniger Fassungskraft und innere Staͤrke der Seele uns eigen ist, und je leichter unsre Nerven erschuͤttert werden koͤnnen, je mehr pflegen wir auch von jener Leidenschaft beunruhigt zu werden. Jeder Mensch sollte an sich mit allen Kraͤf- *) Montagne's Versuche enthalten die lehrreichsten Beitraͤge zur Psychologie, sind aber bisher von unsern Psychologen viel zu wenig genuzt worden. P.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/16
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/16>, abgerufen am 03.12.2024.