Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.
Jch kenne die Person gänzlich nicht; sehe aber aus den Erzählungen selbst, daß sie nichts weniger als unbefangen ist. Bei der Erscheinung des Vaters war schon zuvor ausgemacht, daß der Hr. D. und Praeses in Straßburg recht habe, der ihm eine sichtbare Gestalt giebt. Auch ist sie nicht uninteressirt: denn sie war des Lebens mit ihrem Mann überdrüssig, wollte ihn verlassen, und nun kommt die Stimme: Gehe aus von ihm! Man merkt auch sichtbar, daß sich Niemand so leicht unterstehen dürfe die vorgegebene Facta zu läugnen, ohne ihren innigsten Unwillen aufzureizen; ein Kennzei-
Jch kenne die Person gaͤnzlich nicht; sehe aber aus den Erzaͤhlungen selbst, daß sie nichts weniger als unbefangen ist. Bei der Erscheinung des Vaters war schon zuvor ausgemacht, daß der Hr. D. und Praeses in Straßburg recht habe, der ihm eine sichtbare Gestalt giebt. Auch ist sie nicht uninteressirt: denn sie war des Lebens mit ihrem Mann uͤberdruͤssig, wollte ihn verlassen, und nun kommt die Stimme: Gehe aus von ihm! Man merkt auch sichtbar, daß sich Niemand so leicht unterstehen duͤrfe die vorgegebene Facta zu laͤugnen, ohne ihren innigsten Unwillen aufzureizen; ein Kennzei- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0047" n="45"/><lb/> sondern allein durch Pruͤfung des davon vorliegenden Zeugnisses entscheiden. Dabei fragt sich denn: <hi rendition="#aq">a)</hi> Hat der Zeuge, auf dessen Aussage das <hi rendition="#aq">Factum</hi> beruht, die Gaben, die Zeit und Gelegenheit, was er aussagt, richtig zu beobachten? <hi rendition="#aq">b)</hi> Jst er unbefangen von irgend einer Meinung, die ihn veranlassen koͤnnte, mehr oder weniger zu sehen und zu hoͤren, als wirklich vorgeht? <hi rendition="#aq">c)</hi> Hat er im Affect, oder ohne Affect beobachtet? <hi rendition="#aq">d)</hi> Hat er so viel Rechtschaffenheit und guten Willen, die Sache zu sagen, wie sie ist? <hi rendition="#aq">e)</hi> Jst er dabei voͤllig fuͤr sich uninteressirt; und hat er, so wie bei seiner Beobachtung selbst, also bei dem Zeugniß, was er giebt, nichts zu gewinnen, oder zu verlieren? <hi rendition="#aq">f)</hi> Jst er stark, tugendhaft genug, auch mit Verlust die Wahrheit zu sagen? <hi rendition="#aq">g)</hi> Darf er, kann er ohne Hinderniß sagen, was er denkt?</p> <p>Jch kenne die Person gaͤnzlich nicht; sehe aber aus den Erzaͤhlungen selbst, daß sie nichts weniger als unbefangen ist. Bei der Erscheinung des Vaters war schon zuvor ausgemacht, daß der Hr. <hi rendition="#aq">D.</hi> und <hi rendition="#aq">Praeses</hi> in Straßburg recht habe, der ihm eine sichtbare Gestalt giebt. Auch ist sie nicht uninteressirt: denn sie war des Lebens mit ihrem Mann uͤberdruͤssig, wollte ihn verlassen, und nun kommt die Stimme: <hi rendition="#b">Gehe aus von ihm!</hi> Man merkt auch sichtbar, daß sich Niemand so leicht unterstehen duͤrfe die vorgegebene <hi rendition="#aq">Facta</hi> zu laͤugnen, ohne ihren innigsten Unwillen aufzureizen; ein Kennzei-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [45/0047]
sondern allein durch Pruͤfung des davon vorliegenden Zeugnisses entscheiden. Dabei fragt sich denn: a) Hat der Zeuge, auf dessen Aussage das Factum beruht, die Gaben, die Zeit und Gelegenheit, was er aussagt, richtig zu beobachten? b) Jst er unbefangen von irgend einer Meinung, die ihn veranlassen koͤnnte, mehr oder weniger zu sehen und zu hoͤren, als wirklich vorgeht? c) Hat er im Affect, oder ohne Affect beobachtet? d) Hat er so viel Rechtschaffenheit und guten Willen, die Sache zu sagen, wie sie ist? e) Jst er dabei voͤllig fuͤr sich uninteressirt; und hat er, so wie bei seiner Beobachtung selbst, also bei dem Zeugniß, was er giebt, nichts zu gewinnen, oder zu verlieren? f) Jst er stark, tugendhaft genug, auch mit Verlust die Wahrheit zu sagen? g) Darf er, kann er ohne Hinderniß sagen, was er denkt?
Jch kenne die Person gaͤnzlich nicht; sehe aber aus den Erzaͤhlungen selbst, daß sie nichts weniger als unbefangen ist. Bei der Erscheinung des Vaters war schon zuvor ausgemacht, daß der Hr. D. und Praeses in Straßburg recht habe, der ihm eine sichtbare Gestalt giebt. Auch ist sie nicht uninteressirt: denn sie war des Lebens mit ihrem Mann uͤberdruͤssig, wollte ihn verlassen, und nun kommt die Stimme: Gehe aus von ihm! Man merkt auch sichtbar, daß sich Niemand so leicht unterstehen duͤrfe die vorgegebene Facta zu laͤugnen, ohne ihren innigsten Unwillen aufzureizen; ein Kennzei-
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