Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0098" n="96"/><lb/> eine gewisse schwermuͤthige Laune des Gemuͤths haben, und wie leicht pflegen wir dann etwas Boͤses zu argwohnen, wenn es in unsrer Seele finster aussieht, wie man an jedem Hypochondristen sehen kann. Was ist ohnedas gewoͤhnlicher, als daß ein junges Maͤdgen mit einem beklemmten Herzen erwacht, eine unwillkuͤhrliche Neigung zum Weinen empfindet, und bei der besorglichen Gemuͤthsart des andern Geschlechts dann allerley bevorstehende unangenehme Zufaͤlle sogleich zu muthmaßen anfaͤngt. Wenn dies Ahndung heißt, so haben die Menschen alle Augenblicke Ahndungen. Daß <hi rendition="#b">zufaͤlliger Weise</hi> unter den unzaͤhligen Uebeln, womit das menschliche Leben umgeben ist, auch einmal eins in Erfuͤllung geht, daß nun grade von ungefaͤhr der Jude kommen mußte, und die Nachricht von dem Tode des jungen Gelehrten uͤberbrachte, (waͤre ein anderer unangenehmer Zufall geschehen: so wuͤrde man wieder auf den die Traurigkeit des Maͤdgens bezogen haben,) kann doch wohl als kein richtiger Beweis von einer geschehenen Ahndung angesehen werden, zumal da jene uͤble und finstre Laune gewiß aus <hi rendition="#b">koͤrperlichen</hi> Empfindungen herruͤhren mogte, die so oft uns eine heimliche Wehmuth einfloͤßen; – aber nichts weiter zu bedeuten haben, als daß sie – bald wieder voruͤbergehn werden. Weil aͤngstliche Leute alle Augenblicke unangenehme Zufaͤlle argwohnen: so haben daher auch diese gemeiniglich die meisten Ahndungen, und bei einer bestaͤndigen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [96/0098]
eine gewisse schwermuͤthige Laune des Gemuͤths haben, und wie leicht pflegen wir dann etwas Boͤses zu argwohnen, wenn es in unsrer Seele finster aussieht, wie man an jedem Hypochondristen sehen kann. Was ist ohnedas gewoͤhnlicher, als daß ein junges Maͤdgen mit einem beklemmten Herzen erwacht, eine unwillkuͤhrliche Neigung zum Weinen empfindet, und bei der besorglichen Gemuͤthsart des andern Geschlechts dann allerley bevorstehende unangenehme Zufaͤlle sogleich zu muthmaßen anfaͤngt. Wenn dies Ahndung heißt, so haben die Menschen alle Augenblicke Ahndungen. Daß zufaͤlliger Weise unter den unzaͤhligen Uebeln, womit das menschliche Leben umgeben ist, auch einmal eins in Erfuͤllung geht, daß nun grade von ungefaͤhr der Jude kommen mußte, und die Nachricht von dem Tode des jungen Gelehrten uͤberbrachte, (waͤre ein anderer unangenehmer Zufall geschehen: so wuͤrde man wieder auf den die Traurigkeit des Maͤdgens bezogen haben,) kann doch wohl als kein richtiger Beweis von einer geschehenen Ahndung angesehen werden, zumal da jene uͤble und finstre Laune gewiß aus koͤrperlichen Empfindungen herruͤhren mogte, die so oft uns eine heimliche Wehmuth einfloͤßen; – aber nichts weiter zu bedeuten haben, als daß sie – bald wieder voruͤbergehn werden. Weil aͤngstliche Leute alle Augenblicke unangenehme Zufaͤlle argwohnen: so haben daher auch diese gemeiniglich die meisten Ahndungen, und bei einer bestaͤndigen
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