Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788.
Natürlich war es bey solchen Ausbrüchen nicht möglich, ihn länger auf der Universität zu behalten. Obiger Lehrer schrieb daher an seinen Vater, stellte ihm den kläglichen Zustand seines Sohnes so glimpflich als möglich vor, und bat ihn, solchen selbst abzuholen, ihn einige Zeit bey sich auf dem Lande zu behalten, einen klugen Arzt über sein Uebel zu Rath zu ziehen, ihm alle Theologische Bücher wegzunehmen, und ihn besonders so viel möglich zerstreuen, und anhaltende zwekmäßige Leibesübungen vornehmen zu lassen. Der erschrockene liebevolle Vater kam, fragte, wollte seinem Franz in die Arme stürzen. Aber der Schaden hatte unterdessen so fürchterlich um sich gefressen, daß man den Unglüklichen binden mußte, und es für gefährlich hielt, seinen Vater vor ihn zu lassen. -- Doch der ungestümme Vater ließ sich nicht halten. "Großer Gott, sollt es wahr seyn? sollt' es so weit mit meinem einzigen Kinde gekommen seyn? -- Es ist nicht möglich! Laßt mich zu ihm! Wer will den Vater von seinem Liebling trennen?" Er drang mit Gewalt ins Zimmer, wo sein Franz auf einem Bette halbgebunden lag. Dieser fuhr wie aus einem Schlummer empor. "Jesus Christus wie er aussieht? -- kennst
Natuͤrlich war es bey solchen Ausbruͤchen nicht moͤglich, ihn laͤnger auf der Universitaͤt zu behalten. Obiger Lehrer schrieb daher an seinen Vater, stellte ihm den klaͤglichen Zustand seines Sohnes so glimpflich als moͤglich vor, und bat ihn, solchen selbst abzuholen, ihn einige Zeit bey sich auf dem Lande zu behalten, einen klugen Arzt uͤber sein Uebel zu Rath zu ziehen, ihm alle Theologische Buͤcher wegzunehmen, und ihn besonders so viel moͤglich zerstreuen, und anhaltende zwekmaͤßige Leibesuͤbungen vornehmen zu lassen. Der erschrockene liebevolle Vater kam, fragte, wollte seinem Franz in die Arme stuͤrzen. Aber der Schaden hatte unterdessen so fuͤrchterlich um sich gefressen, daß man den Ungluͤklichen binden mußte, und es fuͤr gefaͤhrlich hielt, seinen Vater vor ihn zu lassen. — Doch der ungestuͤmme Vater ließ sich nicht halten. »Großer Gott, sollt es wahr seyn? sollt' es so weit mit meinem einzigen Kinde gekommen seyn? — Es ist nicht moͤglich! Laßt mich zu ihm! Wer will den Vater von seinem Liebling trennen?« Er drang mit Gewalt ins Zimmer, wo sein Franz auf einem Bette halbgebunden lag. Dieser fuhr wie aus einem Schlummer empor. »Jesus Christus wie er aussieht? — kennst <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0101" n="101"/><lb/> zerren!« So schnaubte er jezt seine Freunde an, die ihm helfen wollten.</p> <p>Natuͤrlich war es bey solchen Ausbruͤchen nicht moͤglich, ihn laͤnger auf der Universitaͤt zu behalten. Obiger Lehrer schrieb daher an seinen Vater, stellte ihm den klaͤglichen Zustand seines Sohnes so glimpflich als moͤglich vor, und bat ihn, solchen selbst abzuholen, ihn einige Zeit bey sich auf dem Lande zu behalten, einen klugen Arzt uͤber sein Uebel zu Rath zu ziehen, ihm alle Theologische Buͤcher wegzunehmen, und ihn besonders so viel moͤglich zerstreuen, und anhaltende zwekmaͤßige Leibesuͤbungen vornehmen zu lassen.</p> <p>Der erschrockene liebevolle Vater kam, fragte, wollte seinem Franz in die Arme stuͤrzen. Aber der Schaden hatte unterdessen so fuͤrchterlich um sich gefressen, daß man den Ungluͤklichen binden mußte, und es fuͤr gefaͤhrlich hielt, seinen Vater vor ihn zu lassen. — Doch der ungestuͤmme Vater ließ sich nicht halten. »Großer Gott, sollt es wahr seyn? sollt' es <hi rendition="#b">so weit</hi> mit meinem einzigen Kinde gekommen seyn? — Es ist nicht moͤglich! Laßt mich zu ihm! Wer will den Vater von seinem Liebling trennen?« Er drang mit Gewalt ins Zimmer, wo sein Franz auf einem Bette halbgebunden lag. Dieser fuhr wie aus einem Schlummer empor. »Jesus Christus wie er aussieht? — kennst<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [101/0101]
zerren!« So schnaubte er jezt seine Freunde an, die ihm helfen wollten.
Natuͤrlich war es bey solchen Ausbruͤchen nicht moͤglich, ihn laͤnger auf der Universitaͤt zu behalten. Obiger Lehrer schrieb daher an seinen Vater, stellte ihm den klaͤglichen Zustand seines Sohnes so glimpflich als moͤglich vor, und bat ihn, solchen selbst abzuholen, ihn einige Zeit bey sich auf dem Lande zu behalten, einen klugen Arzt uͤber sein Uebel zu Rath zu ziehen, ihm alle Theologische Buͤcher wegzunehmen, und ihn besonders so viel moͤglich zerstreuen, und anhaltende zwekmaͤßige Leibesuͤbungen vornehmen zu lassen.
Der erschrockene liebevolle Vater kam, fragte, wollte seinem Franz in die Arme stuͤrzen. Aber der Schaden hatte unterdessen so fuͤrchterlich um sich gefressen, daß man den Ungluͤklichen binden mußte, und es fuͤr gefaͤhrlich hielt, seinen Vater vor ihn zu lassen. — Doch der ungestuͤmme Vater ließ sich nicht halten. »Großer Gott, sollt es wahr seyn? sollt' es so weit mit meinem einzigen Kinde gekommen seyn? — Es ist nicht moͤglich! Laßt mich zu ihm! Wer will den Vater von seinem Liebling trennen?« Er drang mit Gewalt ins Zimmer, wo sein Franz auf einem Bette halbgebunden lag. Dieser fuhr wie aus einem Schlummer empor. »Jesus Christus wie er aussieht? — kennst
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/101>, abgerufen am 16.02.2025. |