Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite


alter Papa. Wie freut ich mich immer, wenn ich dich vor meiner Thüre damit rasseln hörte."

Wir gingen nach dem Zimmer. Franz weinte wie ein Kind, als er hineintrat. "Ach mein Gott, da steht noch alles an dem nehmlichen Orte. Hier die Bettlade; -- dort das hölzerne Tischgen, und der Armensünderstuhl; -- das Christusbild hier an der Wand; -- dort die bemahlte Scheibe. -- Da komm er ans Fenster, lieber Vater, und seh er, ob ich wahr gesprochen habe. Sieht er den Baum dort in der Allee? Und den Weinberg? Und den Bach im dämmernden Abendlicht? Und den Stadtthurm hier links? -- Und die lieblich schwimmenden Gestalten in der Ferne dort, wo sich der Himmel auf den Wald herab neigt? Sieht er das? Ach hier mußte sein Franz am Gitter stehen, und war ausgeschlossen wie ein Missethäter vom Genuß der Himmlischen Natur. Hier lag ich gebunden, wie ein Mörder; hier krümmt' ich mich wie ein Wurm. Alle Menschen verliessen mich, und flohen vor mir, wie vor einem Verpesteten. Elend, und Hunger und Durst liessen sie mich ausstehen, bis mich die Verzweiflung wie ein Fieber ergrif, bis ich wie ein Rasender umherrannte, und um Hülfe brüllte, daß die Vorübergehenden stille stunden, und weinten."

"Guter Gott, wie können Sie so was sagen, lieber junger Herr, unterbrach ihn der Jnspector.


alter Papa. Wie freut ich mich immer, wenn ich dich vor meiner Thuͤre damit rasseln hoͤrte.«

Wir gingen nach dem Zimmer. Franz weinte wie ein Kind, als er hineintrat. »Ach mein Gott, da steht noch alles an dem nehmlichen Orte. Hier die Bettlade; — dort das hoͤlzerne Tischgen, und der Armensuͤnderstuhl; — das Christusbild hier an der Wand; — dort die bemahlte Scheibe. — Da komm er ans Fenster, lieber Vater, und seh er, ob ich wahr gesprochen habe. Sieht er den Baum dort in der Allee? Und den Weinberg? Und den Bach im daͤmmernden Abendlicht? Und den Stadtthurm hier links? — Und die lieblich schwimmenden Gestalten in der Ferne dort, wo sich der Himmel auf den Wald herab neigt? Sieht er das? Ach hier mußte sein Franz am Gitter stehen, und war ausgeschlossen wie ein Missethaͤter vom Genuß der Himmlischen Natur. Hier lag ich gebunden, wie ein Moͤrder; hier kruͤmmt' ich mich wie ein Wurm. Alle Menschen verliessen mich, und flohen vor mir, wie vor einem Verpesteten. Elend, und Hunger und Durst liessen sie mich ausstehen, bis mich die Verzweiflung wie ein Fieber ergrif, bis ich wie ein Rasender umherrannte, und um Huͤlfe bruͤllte, daß die Voruͤbergehenden stille stunden, und weinten.«

»Guter Gott, wie koͤnnen Sie so was sagen, lieber junger Herr, unterbrach ihn der Jnspector.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0121" n="121"/><lb/>
alter Papa. Wie                         freut ich mich immer, wenn ich dich vor meiner Thu&#x0364;re damit rasseln                         ho&#x0364;rte.«</p>
            <p>Wir gingen nach dem Zimmer. Franz weinte wie ein Kind, als er hineintrat.                         »Ach mein Gott, da steht noch alles an dem nehmlichen Orte. Hier die                         Bettlade; &#x2014; dort das ho&#x0364;lzerne Tischgen, und der Armensu&#x0364;nderstuhl; &#x2014; das                         Christusbild hier <choice><corr>an</corr><sic>am</sic></choice> der Wand; &#x2014; dort die bemahlte Scheibe. &#x2014; Da komm er ans                         Fenster, lieber Vater, und seh er, ob ich wahr gesprochen habe. Sieht er den                         Baum dort in der Allee? Und den Weinberg? Und den Bach im da&#x0364;mmernden                         Abendlicht? Und den Stadtthurm hier links? &#x2014; Und die lieblich schwimmenden                         Gestalten in der Ferne dort, wo sich der Himmel auf den Wald herab neigt?                         Sieht er das? Ach hier mußte sein Franz am Gitter stehen, und war                         ausgeschlossen wie ein Missetha&#x0364;ter vom Genuß der Himmlischen Natur. Hier lag                         ich gebunden, wie ein Mo&#x0364;rder; hier kru&#x0364;mmt' ich mich wie ein Wurm. Alle                         Menschen verliessen mich, und flohen vor mir, wie vor einem Verpesteten.                         Elend, und Hunger und Durst liessen sie mich ausstehen, bis mich die                         Verzweiflung wie ein Fieber ergrif, bis ich wie ein Rasender umherrannte,                         und um Hu&#x0364;lfe bru&#x0364;llte, daß die Voru&#x0364;bergehenden stille stunden, und                         weinten.«</p>
            <p>»Guter Gott, wie ko&#x0364;nnen <choice><corr>Sie</corr><sic>sie</sic></choice> so was sagen, lieber junger Herr, unterbrach ihn                         der <choice><corr>Jnspector</corr><sic>Jespector</sic></choice>.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0121] alter Papa. Wie freut ich mich immer, wenn ich dich vor meiner Thuͤre damit rasseln hoͤrte.« Wir gingen nach dem Zimmer. Franz weinte wie ein Kind, als er hineintrat. »Ach mein Gott, da steht noch alles an dem nehmlichen Orte. Hier die Bettlade; — dort das hoͤlzerne Tischgen, und der Armensuͤnderstuhl; — das Christusbild hier an der Wand; — dort die bemahlte Scheibe. — Da komm er ans Fenster, lieber Vater, und seh er, ob ich wahr gesprochen habe. Sieht er den Baum dort in der Allee? Und den Weinberg? Und den Bach im daͤmmernden Abendlicht? Und den Stadtthurm hier links? — Und die lieblich schwimmenden Gestalten in der Ferne dort, wo sich der Himmel auf den Wald herab neigt? Sieht er das? Ach hier mußte sein Franz am Gitter stehen, und war ausgeschlossen wie ein Missethaͤter vom Genuß der Himmlischen Natur. Hier lag ich gebunden, wie ein Moͤrder; hier kruͤmmt' ich mich wie ein Wurm. Alle Menschen verliessen mich, und flohen vor mir, wie vor einem Verpesteten. Elend, und Hunger und Durst liessen sie mich ausstehen, bis mich die Verzweiflung wie ein Fieber ergrif, bis ich wie ein Rasender umherrannte, und um Huͤlfe bruͤllte, daß die Voruͤbergehenden stille stunden, und weinten.« »Guter Gott, wie koͤnnen Sie so was sagen, lieber junger Herr, unterbrach ihn der Jnspector.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/121
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/121>, abgerufen am 21.05.2024.