Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.
Sehr oft habe ich über den Zustand meiner Seele, in welchem sie etwas zu gleicher Zeit will, und auch nicht will, nachgedacht und das Resultat meiner Untersuchungen war immer folgendes. Die Seele wird in ihrer Thätigkeit durch einen heftigen Wunsch, durch ein zu gewaltiges Hinrichten ihrer Kraft auf einen einzigen Punct viel zu sehr eingeschränkt, und in ihrer Freiheit gehindert, als daß ihr ein solcher Zustand lange gefallen könnte, wenn
Sehr oft habe ich uͤber den Zustand meiner Seele, in welchem sie etwas zu gleicher Zeit will, und auch nicht will, nachgedacht und das Resultat meiner Untersuchungen war immer folgendes. Die Seele wird in ihrer Thaͤtigkeit durch einen heftigen Wunsch, durch ein zu gewaltiges Hinrichten ihrer Kraft auf einen einzigen Punct viel zu sehr eingeschraͤnkt, und in ihrer Freiheit gehindert, als daß ihr ein solcher Zustand lange gefallen koͤnnte, wenn <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0101" n="101"/><lb/> scheint in der That contradictorisch zu seyn, daß die Seele etwas zu gleicher Zeit, und zwar mit groͤßtem Verlangen <hi rendition="#b">wollen,</hi> und auch <hi rendition="#b">nicht wollen</hi> koͤnne; allein das Phaͤnomen bleibt doch als Erfahrung ausgemacht, ob ich mir es gleich selten habe genau erklaͤren koͤnnen, warum ich eine heftig <hi rendition="#b">gewuͤnschte</hi> Sache auch wiederum zugleich <hi rendition="#b">nicht</hi> wuͤnschte. Man muß oft sehr tief in das Gebiet unsrer Empfindungen, und ihre ersten originellen Veranlaßungen eindringen, wenn man sich dergleichen ungewoͤhnliche Erscheinungen erklaͤren, und auf die uns bekannte Form des Denkens reduciren will. Schwerlich kann man sich in dergleichen Faͤllen zurecht finden, wenn man nicht eine Menge in uns stets vorhandener, stets wirksamer <hi rendition="#b">dunkler</hi> Jdeen annimmt, die sich unmerklich an hellere anschließen, und der Thaͤtigkeit der Seele eine von ihrer gewoͤhnlichen Art zu denken und zu wollen verschiedene Richtung geben, die oft gar nicht in der Natur unsers Wollens gegruͤndet zu seyn scheint. —</p> <p>Sehr oft habe ich uͤber den Zustand meiner Seele, in welchem sie etwas zu gleicher Zeit <hi rendition="#b">will,</hi> und auch <hi rendition="#b">nicht will,</hi> nachgedacht und das Resultat meiner Untersuchungen war immer folgendes. Die Seele wird in ihrer Thaͤtigkeit durch einen heftigen Wunsch, durch ein zu gewaltiges Hinrichten ihrer Kraft auf einen <hi rendition="#b">einzigen</hi> Punct viel zu sehr <hi rendition="#b">eingeschraͤnkt, </hi> und in ihrer Freiheit gehindert, als daß ihr ein solcher Zustand <hi rendition="#b">lange</hi> gefallen koͤnnte, wenn<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [101/0101]
scheint in der That contradictorisch zu seyn, daß die Seele etwas zu gleicher Zeit, und zwar mit groͤßtem Verlangen wollen, und auch nicht wollen koͤnne; allein das Phaͤnomen bleibt doch als Erfahrung ausgemacht, ob ich mir es gleich selten habe genau erklaͤren koͤnnen, warum ich eine heftig gewuͤnschte Sache auch wiederum zugleich nicht wuͤnschte. Man muß oft sehr tief in das Gebiet unsrer Empfindungen, und ihre ersten originellen Veranlaßungen eindringen, wenn man sich dergleichen ungewoͤhnliche Erscheinungen erklaͤren, und auf die uns bekannte Form des Denkens reduciren will. Schwerlich kann man sich in dergleichen Faͤllen zurecht finden, wenn man nicht eine Menge in uns stets vorhandener, stets wirksamer dunkler Jdeen annimmt, die sich unmerklich an hellere anschließen, und der Thaͤtigkeit der Seele eine von ihrer gewoͤhnlichen Art zu denken und zu wollen verschiedene Richtung geben, die oft gar nicht in der Natur unsers Wollens gegruͤndet zu seyn scheint. —
Sehr oft habe ich uͤber den Zustand meiner Seele, in welchem sie etwas zu gleicher Zeit will, und auch nicht will, nachgedacht und das Resultat meiner Untersuchungen war immer folgendes. Die Seele wird in ihrer Thaͤtigkeit durch einen heftigen Wunsch, durch ein zu gewaltiges Hinrichten ihrer Kraft auf einen einzigen Punct viel zu sehr eingeschraͤnkt, und in ihrer Freiheit gehindert, als daß ihr ein solcher Zustand lange gefallen koͤnnte, wenn
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