Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.
Jch irre mich daher wohl nicht, wenn ich annehme, daß wir bei den meisten unsrer Wünsche in Gefahr laufen, ihrer oft früher überdrüßig zu werden, als sie noch erfüllt sind; so paradox auch dies klingen mag, -- und daß wir deswegen nicht selten so sehr eilen, sie in Erfüllung zu bringen, weil wir gleichsam die mit ihnen verbundene Lange-
Jch irre mich daher wohl nicht, wenn ich annehme, daß wir bei den meisten unsrer Wuͤnsche in Gefahr laufen, ihrer oft fruͤher uͤberdruͤßig zu werden, als sie noch erfuͤllt sind; so paradox auch dies klingen mag, — und daß wir deswegen nicht selten so sehr eilen, sie in Erfuͤllung zu bringen, weil wir gleichsam die mit ihnen verbundene Lange- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0103" n="103"/><lb/> Wir fuͤhlen es vorher, daß wir doch am Ende der Laufbahn nicht, wenigstens nicht viel weiter gekommen sind, daß die Anstrengung der Seele mit dem Ziele, wornach wir laufen, nicht in dem gehoͤrigen Verhaͤltniß steht, und daß uns das erlangte Gut wohl gar wieder entrissen werden kann. Dies ist ein <hi rendition="#b">dritter</hi> Grund, welcher uns nicht selten die angenehmsten Wuͤnsche vergaͤllt, und uns den Wunsch abzwingen kann, daß auch die Sache <hi rendition="#b">nicht</hi> geschehen, oder daß das Object des Verlangens gar nicht in unserm Gesichtskreise stehen moͤge. Je heftiger wir etwas begehren, je mehr die ganze Seelenthaͤtigkeit auf einen einzigen Gegenstand gerichtet ist, je mehr Leidenschaften zu gleicher Zeit uns nach einem gewissen Ziele hinstoßen; je furchtsamer pflegen wir auch nach den Hindernissen umherzuschauen, die sich uns in Weg stellen koͤnnten, je <hi rendition="#b">empfaͤnglicher</hi> sind wir wenigstens, uns durch ein lebhaftes Mißtrauen verstimmen zu laßen, und dieses Mißtrauen ist es eben, welches ein unangenehmes Licht auf den gewuͤnschten Gegenstand schon vorher wirft, ehe wir ihn besitzen.</p> <p>Jch irre mich daher wohl nicht, wenn ich annehme, daß wir bei den meisten unsrer Wuͤnsche in Gefahr laufen, <hi rendition="#b">ihrer oft fruͤher uͤberdruͤßig zu werden, als sie noch erfuͤllt sind;</hi> so paradox auch dies klingen mag, — und daß wir deswegen nicht selten so sehr eilen, sie in Erfuͤllung zu bringen, weil wir gleichsam die mit ihnen verbundene Lange-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [103/0103]
Wir fuͤhlen es vorher, daß wir doch am Ende der Laufbahn nicht, wenigstens nicht viel weiter gekommen sind, daß die Anstrengung der Seele mit dem Ziele, wornach wir laufen, nicht in dem gehoͤrigen Verhaͤltniß steht, und daß uns das erlangte Gut wohl gar wieder entrissen werden kann. Dies ist ein dritter Grund, welcher uns nicht selten die angenehmsten Wuͤnsche vergaͤllt, und uns den Wunsch abzwingen kann, daß auch die Sache nicht geschehen, oder daß das Object des Verlangens gar nicht in unserm Gesichtskreise stehen moͤge. Je heftiger wir etwas begehren, je mehr die ganze Seelenthaͤtigkeit auf einen einzigen Gegenstand gerichtet ist, je mehr Leidenschaften zu gleicher Zeit uns nach einem gewissen Ziele hinstoßen; je furchtsamer pflegen wir auch nach den Hindernissen umherzuschauen, die sich uns in Weg stellen koͤnnten, je empfaͤnglicher sind wir wenigstens, uns durch ein lebhaftes Mißtrauen verstimmen zu laßen, und dieses Mißtrauen ist es eben, welches ein unangenehmes Licht auf den gewuͤnschten Gegenstand schon vorher wirft, ehe wir ihn besitzen.
Jch irre mich daher wohl nicht, wenn ich annehme, daß wir bei den meisten unsrer Wuͤnsche in Gefahr laufen, ihrer oft fruͤher uͤberdruͤßig zu werden, als sie noch erfuͤllt sind; so paradox auch dies klingen mag, — und daß wir deswegen nicht selten so sehr eilen, sie in Erfuͤllung zu bringen, weil wir gleichsam die mit ihnen verbundene Lange-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |