Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.
Wenn man die sogenanten bedeutenden Träume untersucht, und sich nicht bloß durch das Sonderbare ihrer Bilder und Folgen täuschen läßt; so wird man gemeiniglich finden, daß die Seele von der hinterher erfolgten Begebenheit vorher schon einige, wenigstens dunkle, Begriffe gehabt, und also nur gleichsam im Traume noch copirt hat; oder daß sie sich nur ein mit der Begebenheit homogenes Bild geträumt zu haben einbildete; oder daß schon würkliche Vermuthungen vorhergingen, die man in gewissen Momenten wieder vergessen hatte, welche aber der Traum wieder aufwekte, oder daß sich ein Betrug der Sinne, eine schwärmerische Nachbildung, auch wohl gar ein Drang, das würklich zu machen, was man zufällig geträumt hatte, mit ins Spiel mischte. Jch gebe gerne zu, daß es Träume giebt, wobei alle diese angeführten Umstände unanwendbar bleiben; aber wer wagt es zu läugnen, daß einer, oder der andre davon auf eine verstekte Art zum Grunde liegen kann, und daß ein
Wenn man die sogenanten bedeutenden Traͤume untersucht, und sich nicht bloß durch das Sonderbare ihrer Bilder und Folgen taͤuschen laͤßt; so wird man gemeiniglich finden, daß die Seele von der hinterher erfolgten Begebenheit vorher schon einige, wenigstens dunkle, Begriffe gehabt, und also nur gleichsam im Traume noch copirt hat; oder daß sie sich nur ein mit der Begebenheit homogenes Bild getraͤumt zu haben einbildete; oder daß schon wuͤrkliche Vermuthungen vorhergingen, die man in gewissen Momenten wieder vergessen hatte, welche aber der Traum wieder aufwekte, oder daß sich ein Betrug der Sinne, eine schwaͤrmerische Nachbildung, auch wohl gar ein Drang, das wuͤrklich zu machen, was man zufaͤllig getraͤumt hatte, mit ins Spiel mischte. Jch gebe gerne zu, daß es Traͤume giebt, wobei alle diese angefuͤhrten Umstaͤnde unanwendbar bleiben; aber wer wagt es zu laͤugnen, daß einer, oder der andre davon auf eine verstekte Art zum Grunde liegen kann, und daß ein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0003" n="3"/><lb/> sey. Durch dergleichen Untersuchungen ist allerdings der Nutzen gestiftet worden, daß man nicht mehr so sehr, wie sonst, mit einer fanatischen Leichtglaͤubigkeit an Traumbedeutungen haͤngt, daß man dadurch den Mechanismus unsrer Einbildungskraft naͤher kennen gelernt hat, und daß auch dadurch dem Aberglauben wenigstens einiger Abbruch gemacht wurde.</p> <p>Wenn man die sogenanten bedeutenden Traͤume untersucht, und sich nicht bloß durch das Sonderbare ihrer Bilder und Folgen taͤuschen laͤßt; so wird man gemeiniglich finden, <hi rendition="#b">daß die Seele von der hinterher erfolgten Begebenheit vorher schon einige, wenigstens dunkle, Begriffe gehabt, und also nur gleichsam im Traume noch copirt hat; oder</hi> daß <hi rendition="#b">sie sich nur ein mit der Begebenheit homogenes Bild getraͤumt zu haben einbildete; oder daß schon wuͤrkliche Vermuthungen vorhergingen, die man in gewissen Momenten wieder vergessen hatte, welche aber der Traum wieder aufwekte, oder</hi> daß <hi rendition="#b">sich ein Betrug der Sinne, eine schwaͤrmerische Nachbildung, auch wohl gar ein Drang, das wuͤrklich zu machen, was man zufaͤllig getraͤumt hatte, mit ins Spiel mischte.</hi> Jch gebe gerne zu, daß es Traͤume giebt, wobei alle diese angefuͤhrten Umstaͤnde unanwendbar bleiben; aber wer wagt es zu laͤugnen, daß einer, oder der andre davon auf eine <hi rendition="#b">verstekte Art</hi> zum Grunde liegen kann, und daß ein<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [3/0003]
sey. Durch dergleichen Untersuchungen ist allerdings der Nutzen gestiftet worden, daß man nicht mehr so sehr, wie sonst, mit einer fanatischen Leichtglaͤubigkeit an Traumbedeutungen haͤngt, daß man dadurch den Mechanismus unsrer Einbildungskraft naͤher kennen gelernt hat, und daß auch dadurch dem Aberglauben wenigstens einiger Abbruch gemacht wurde.
Wenn man die sogenanten bedeutenden Traͤume untersucht, und sich nicht bloß durch das Sonderbare ihrer Bilder und Folgen taͤuschen laͤßt; so wird man gemeiniglich finden, daß die Seele von der hinterher erfolgten Begebenheit vorher schon einige, wenigstens dunkle, Begriffe gehabt, und also nur gleichsam im Traume noch copirt hat; oder daß sie sich nur ein mit der Begebenheit homogenes Bild getraͤumt zu haben einbildete; oder daß schon wuͤrkliche Vermuthungen vorhergingen, die man in gewissen Momenten wieder vergessen hatte, welche aber der Traum wieder aufwekte, oder daß sich ein Betrug der Sinne, eine schwaͤrmerische Nachbildung, auch wohl gar ein Drang, das wuͤrklich zu machen, was man zufaͤllig getraͤumt hatte, mit ins Spiel mischte. Jch gebe gerne zu, daß es Traͤume giebt, wobei alle diese angefuͤhrten Umstaͤnde unanwendbar bleiben; aber wer wagt es zu laͤugnen, daß einer, oder der andre davon auf eine verstekte Art zum Grunde liegen kann, und daß ein
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