Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0098" n="98"/><lb/> ich nun auch zuvoͤrderst die Erscheinung, daß ich fast niemals im Stande bin, mich durch <hi rendition="#b">bloße</hi> Vorstellungen und <hi rendition="#b">aͤußere</hi> Objecte zum Mitleiden gegen irgend ein leidendes Wesen zu stimmen, und daß es mir Muͤhe und Unwillen verursacht, wenn ich ohne dazu gestimmt zu seyn, Mitleiden an den Tag legen soll. Jch sehe voraus, daß ich mich werde <hi rendition="#b">verstellen</hi> muͤssen — dies verstimmt mich noch mehr, macht mich zum Mitleiden noch unfaͤhiger, und erzeugt in solchen Augenblicken nicht selten eine Kaͤlte gegen meine Nebenmenschen, vor der ich selbst zuruͤckbebe, und die mich unendlich ungluͤcklich machen wuͤrde, wenn meine Natur von der andern Seite nicht aͤußerst weich und fuͤhlbar geschaffen waͤre, so bald jene Laune voruͤber ist. Mein Herz ist zur Freundschaft aufs staͤrkste geneigt, mein Wohlwollen reißt mich oft zu Handlungen der Menschenliebe hin, die ich fuͤr meine Kraͤfte zu groß fuͤhle, ich habe alle Besonnenheit der Vernunft noͤthig, um nicht in eine Art von Empfindelei zu verfallen; — aber bei dem allen ist mein Herz oft felsenhart, wenn es Mitleiden — selbst mit seinen Lieblingen empfinden, und an den Tag legen soll. Jst aber bisweilen eine Stimmung der Seele zum Mitleiden vorhanden, fließt mir unmerklich eine Thraͤne der Theilnehmung aus meinem Auge; so fuͤhle ich auch zugleich, daß ich kraͤnklich bin, und daß in meiner Maschine eine nervenschwaͤchende Veraͤnderung vorhergegangen ist.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [98/0098]
ich nun auch zuvoͤrderst die Erscheinung, daß ich fast niemals im Stande bin, mich durch bloße Vorstellungen und aͤußere Objecte zum Mitleiden gegen irgend ein leidendes Wesen zu stimmen, und daß es mir Muͤhe und Unwillen verursacht, wenn ich ohne dazu gestimmt zu seyn, Mitleiden an den Tag legen soll. Jch sehe voraus, daß ich mich werde verstellen muͤssen — dies verstimmt mich noch mehr, macht mich zum Mitleiden noch unfaͤhiger, und erzeugt in solchen Augenblicken nicht selten eine Kaͤlte gegen meine Nebenmenschen, vor der ich selbst zuruͤckbebe, und die mich unendlich ungluͤcklich machen wuͤrde, wenn meine Natur von der andern Seite nicht aͤußerst weich und fuͤhlbar geschaffen waͤre, so bald jene Laune voruͤber ist. Mein Herz ist zur Freundschaft aufs staͤrkste geneigt, mein Wohlwollen reißt mich oft zu Handlungen der Menschenliebe hin, die ich fuͤr meine Kraͤfte zu groß fuͤhle, ich habe alle Besonnenheit der Vernunft noͤthig, um nicht in eine Art von Empfindelei zu verfallen; — aber bei dem allen ist mein Herz oft felsenhart, wenn es Mitleiden — selbst mit seinen Lieblingen empfinden, und an den Tag legen soll. Jst aber bisweilen eine Stimmung der Seele zum Mitleiden vorhanden, fließt mir unmerklich eine Thraͤne der Theilnehmung aus meinem Auge; so fuͤhle ich auch zugleich, daß ich kraͤnklich bin, und daß in meiner Maschine eine nervenschwaͤchende Veraͤnderung vorhergegangen ist.
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