Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 3. Berlin, 1789.
Wann sie jetzt in die Kirche kommt, -- und das thut sie sehr fleißig, -- so richtet sie alle ihre Aufmerksamkeit auf den Prediger, und weiß alsdann nach der Kirche die ganze Predigt von Wort zu Wort herzusagen, selbst mit allen in der Predigt angeführten biblischen Stellen,wobei sie noch genau das Buch, das Kapitel, und den Vers von jeder angeben kann. -- Und so schnell sie faßt, eben so treu ist ihr Gedächtniß auch im Behalten des Gefaßten. Jhre Mutter nahm sie einst mit sich nach Stuttgart, und führte sie daselbst in die Kirche, um einen gewissen berühmten Prediger da zu hören. Als das Mädchen wieder nach Hause kam, so fragte man sie, was dieser Mann geprediget hätte, und sie wußte noch eben so gut die ganze Predigt herzusagen, wie sonst die kurz vorher gehörte. Einst geschah es, daß sie gefragt wurde, ob sie nicht mehr wüßte, was ihr Herr Pfarrer vor einem
Wann sie jetzt in die Kirche kommt, — und das thut sie sehr fleißig, — so richtet sie alle ihre Aufmerksamkeit auf den Prediger, und weiß alsdann nach der Kirche die ganze Predigt von Wort zu Wort herzusagen, selbst mit allen in der Predigt angefuͤhrten biblischen Stellen,wobei sie noch genau das Buch, das Kapitel, und den Vers von jeder angeben kann. — Und so schnell sie faßt, eben so treu ist ihr Gedaͤchtniß auch im Behalten des Gefaßten. Jhre Mutter nahm sie einst mit sich nach Stuttgart, und fuͤhrte sie daselbst in die Kirche, um einen gewissen beruͤhmten Prediger da zu hoͤren. Als das Maͤdchen wieder nach Hause kam, so fragte man sie, was dieser Mann geprediget haͤtte, und sie wußte noch eben so gut die ganze Predigt herzusagen, wie sonst die kurz vorher gehoͤrte. Einst geschah es, daß sie gefragt wurde, ob sie nicht mehr wuͤßte, was ihr Herr Pfarrer vor einem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0118" n="118"/><lb/> mal sich vorlesen zu lassen, um es schon vollkommen auswendig zu koͤnnen, selbst lange Gesaͤnge, die es lernen mußte, ließ es sich einmal vorlesen, und sagte sie gleich darauf mit unglaublicher Fertigkeit ohne Anstoß her, lernte auch jedesmal, weil ihr das Aufgeben zu wenig war noch zwei oder drei Gesaͤnge aus eigenem Antrieb dazu, und war doch mit allem in weniger als einer Stunde fertig. —</p> <p>Wann sie jetzt in die Kirche kommt, — und das thut sie sehr fleißig, — so richtet sie alle ihre Aufmerksamkeit auf den Prediger, und weiß alsdann nach der Kirche die ganze Predigt von Wort zu Wort herzusagen, selbst mit allen in der Predigt angefuͤhrten biblischen Stellen,wobei sie noch genau das Buch, das Kapitel, und den Vers von jeder angeben kann. — Und so schnell sie faßt, eben so treu ist ihr Gedaͤchtniß auch im Behalten des Gefaßten. Jhre Mutter nahm sie einst mit sich nach Stuttgart, und fuͤhrte sie daselbst in die Kirche, um einen gewissen beruͤhmten Prediger da zu hoͤren. Als das Maͤdchen wieder nach Hause kam, so fragte man sie, was dieser Mann geprediget haͤtte, und sie wußte noch eben so gut die ganze Predigt herzusagen, wie sonst die kurz vorher gehoͤrte.</p> <p>Einst geschah es, daß sie gefragt wurde, ob sie nicht mehr wuͤßte, was ihr Herr Pfarrer vor einem<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [118/0118]
mal sich vorlesen zu lassen, um es schon vollkommen auswendig zu koͤnnen, selbst lange Gesaͤnge, die es lernen mußte, ließ es sich einmal vorlesen, und sagte sie gleich darauf mit unglaublicher Fertigkeit ohne Anstoß her, lernte auch jedesmal, weil ihr das Aufgeben zu wenig war noch zwei oder drei Gesaͤnge aus eigenem Antrieb dazu, und war doch mit allem in weniger als einer Stunde fertig. —
Wann sie jetzt in die Kirche kommt, — und das thut sie sehr fleißig, — so richtet sie alle ihre Aufmerksamkeit auf den Prediger, und weiß alsdann nach der Kirche die ganze Predigt von Wort zu Wort herzusagen, selbst mit allen in der Predigt angefuͤhrten biblischen Stellen,wobei sie noch genau das Buch, das Kapitel, und den Vers von jeder angeben kann. — Und so schnell sie faßt, eben so treu ist ihr Gedaͤchtniß auch im Behalten des Gefaßten. Jhre Mutter nahm sie einst mit sich nach Stuttgart, und fuͤhrte sie daselbst in die Kirche, um einen gewissen beruͤhmten Prediger da zu hoͤren. Als das Maͤdchen wieder nach Hause kam, so fragte man sie, was dieser Mann geprediget haͤtte, und sie wußte noch eben so gut die ganze Predigt herzusagen, wie sonst die kurz vorher gehoͤrte.
Einst geschah es, daß sie gefragt wurde, ob sie nicht mehr wuͤßte, was ihr Herr Pfarrer vor einem
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 3. Berlin, 1789, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0703_1789/118>, abgerufen am 16.02.2025. |