Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 3. Berlin, 1789.Der Abgrund war mit Rosenhecken umwachsen -- ich hätte eine nach der andern abgepflückt, und bei der letzten hätte ich erst mein Verderben eingesehen, und wäre unaufhaltsam hinabgestürzt. -- Aber du ließest Gedanken in meine Seele strömen, Allgütiger, die der kalten Vernunft das Uebergewicht über die gaukelnden Phantasien gaben. -- Und ihr habe ich es zu danken, daß ich nun wieder einen stillen frohen Tag genossen habe, an welchem Beschäftigung und Vergnügen mit einander abwechselten, und von dem ich am Abend mit frohem Herzen Abschied nehmen kann. -- Vielleicht schwankte ich jetzt zwischen tausend widerwärtigen Entschließungen umher, irrte aus einem Labyrinth ins andere, hätte keine bleibende Stätte, und fände nirgends Ruhe, wenn die gaukelnden Phantasien das Uebergewicht behalten hätten, die gerade noch zu rechter Zeit ihrer tyrannischen, quälenden Herrschaft in meiner Seele entsetzt, und dem festen Triebe nach gewisser Glückseligkeit untergeordnet wurden. Donnerstag den 23. August. Gegen Abend auf dem Felde. Ach Gott, sollte diese Stumpfheit, diese entsetzliche Trägheit der Seele auch einmal über mich kommen, die mich unfähig zum Entzücken und zu der süßen Schwermuth macht; o lieber laß mich leiden und dulden, und mit tausend Widerwärtigkeiten Der Abgrund war mit Rosenhecken umwachsen — ich haͤtte eine nach der andern abgepfluͤckt, und bei der letzten haͤtte ich erst mein Verderben eingesehen, und waͤre unaufhaltsam hinabgestuͤrzt. — Aber du ließest Gedanken in meine Seele stroͤmen, Allguͤtiger, die der kalten Vernunft das Uebergewicht uͤber die gaukelnden Phantasien gaben. — Und ihr habe ich es zu danken, daß ich nun wieder einen stillen frohen Tag genossen habe, an welchem Beschaͤftigung und Vergnuͤgen mit einander abwechselten, und von dem ich am Abend mit frohem Herzen Abschied nehmen kann. — Vielleicht schwankte ich jetzt zwischen tausend widerwaͤrtigen Entschließungen umher, irrte aus einem Labyrinth ins andere, haͤtte keine bleibende Staͤtte, und faͤnde nirgends Ruhe, wenn die gaukelnden Phantasien das Uebergewicht behalten haͤtten, die gerade noch zu rechter Zeit ihrer tyrannischen, quaͤlenden Herrschaft in meiner Seele entsetzt, und dem festen Triebe nach gewisser Gluͤckseligkeit untergeordnet wurden. Donnerstag den 23. August. Gegen Abend auf dem Felde. Ach Gott, sollte diese Stumpfheit, diese entsetzliche Traͤgheit der Seele auch einmal uͤber mich kommen, die mich unfaͤhig zum Entzuͤcken und zu der suͤßen Schwermuth macht; o lieber laß mich leiden und dulden, und mit tausend Widerwaͤrtigkeiten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0043" n="43"/><lb/> <p>Der Abgrund war mit Rosenhecken umwachsen — ich haͤtte eine nach der andern abgepfluͤckt, und bei der letzten haͤtte ich erst mein Verderben eingesehen, und waͤre unaufhaltsam hinabgestuͤrzt. —</p> <p>Aber du ließest Gedanken in meine Seele stroͤmen, Allguͤtiger, die der kalten Vernunft das Uebergewicht uͤber die gaukelnden Phantasien gaben. —</p> <p>Und ihr habe ich es zu danken, daß ich nun wieder einen stillen frohen Tag genossen habe, an welchem Beschaͤftigung und Vergnuͤgen mit einander abwechselten, und von dem ich am Abend mit frohem Herzen Abschied nehmen kann. —</p> <p>Vielleicht schwankte ich jetzt zwischen tausend widerwaͤrtigen Entschließungen umher, irrte aus einem Labyrinth ins andere, haͤtte keine bleibende Staͤtte, und faͤnde nirgends Ruhe, wenn die gaukelnden Phantasien das Uebergewicht behalten haͤtten, die gerade noch zu rechter Zeit ihrer tyrannischen, quaͤlenden Herrschaft in meiner Seele entsetzt, und dem festen Triebe nach <hi rendition="#b">gewisser</hi> Gluͤckseligkeit untergeordnet wurden.</p> </div> <div n="4"> <opener> <dateline> <hi rendition="#c">Donnerstag den 23. August. Gegen Abend auf dem Felde. </hi> </dateline> </opener> <p>Ach Gott, sollte diese Stumpfheit, diese entsetzliche Traͤgheit der Seele auch einmal uͤber mich kommen, die mich unfaͤhig zum Entzuͤcken und zu der suͤßen Schwermuth macht; o lieber laß mich leiden und dulden, und mit tausend Widerwaͤrtigkeiten<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [43/0043]
Der Abgrund war mit Rosenhecken umwachsen — ich haͤtte eine nach der andern abgepfluͤckt, und bei der letzten haͤtte ich erst mein Verderben eingesehen, und waͤre unaufhaltsam hinabgestuͤrzt. —
Aber du ließest Gedanken in meine Seele stroͤmen, Allguͤtiger, die der kalten Vernunft das Uebergewicht uͤber die gaukelnden Phantasien gaben. —
Und ihr habe ich es zu danken, daß ich nun wieder einen stillen frohen Tag genossen habe, an welchem Beschaͤftigung und Vergnuͤgen mit einander abwechselten, und von dem ich am Abend mit frohem Herzen Abschied nehmen kann. —
Vielleicht schwankte ich jetzt zwischen tausend widerwaͤrtigen Entschließungen umher, irrte aus einem Labyrinth ins andere, haͤtte keine bleibende Staͤtte, und faͤnde nirgends Ruhe, wenn die gaukelnden Phantasien das Uebergewicht behalten haͤtten, die gerade noch zu rechter Zeit ihrer tyrannischen, quaͤlenden Herrschaft in meiner Seele entsetzt, und dem festen Triebe nach gewisser Gluͤckseligkeit untergeordnet wurden.
Donnerstag den 23. August. Gegen Abend auf dem Felde. Ach Gott, sollte diese Stumpfheit, diese entsetzliche Traͤgheit der Seele auch einmal uͤber mich kommen, die mich unfaͤhig zum Entzuͤcken und zu der suͤßen Schwermuth macht; o lieber laß mich leiden und dulden, und mit tausend Widerwaͤrtigkeiten
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