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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791.

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der hiesigen Erde. Jhr habt recht, wenn ihr eure Sinne fragt, allein nur ein Blick auf die Natur, -- und dann Schlus, alles athmet Leben, also auch der Keim, der jetzt in tausend Häuten eingeschlossen zu der spätesten Generation, die die Kette des Menschengeschlechts beschliessen wird, bestimmet ist. -- Doch laßt uns langsamer und behutsamer dem Wachsthum und der Entwicklung des Keimes nachgehen.

Zufluß von Nahrung und Verwandlung derselben in eigene conforme materielle Substanz sind die ersten Erfordernisse des Wachsthums. Jenes ist da, die Mutter läßt dem Keime die ausgearbeitetsten Säfte zufließen, und dieses ist gewiß auch vorhanden, indem sonst Wachsthum nicht möglich wäre. Würkung und Gegenwürkung immerwährende Thätigkeit sind die Mittel des letztern, und hingegen Ruhe und Stillstand Mittel der Fäulniß und der Verderbniß des Keims. Ganz gewiß würde der Keim, statt sich zu entwickeln, in Fäulniß übergehen, wenn nicht bei der großen Wärme, die in dem Leibe der Mutter enthalten ist, immer Thätigkeit, Würkung und Gegenwürkung wäre, d.h. wenn nicht Luft da wäre, ohne welche Thätigkeit und Ausdehnung nicht gedenkbar ist.

Physische Erfahrung zeigt uns aber auch die Würklichkeit dessen, was unsere Vernunft blos vorher gewähnt hatte, nämlich, Wärme, die im höchsten Grade im Mutterleibe enthalten ist, ist


der hiesigen Erde. Jhr habt recht, wenn ihr eure Sinne fragt, allein nur ein Blick auf die Natur, — und dann Schlus, alles athmet Leben, also auch der Keim, der jetzt in tausend Haͤuten eingeschlossen zu der spaͤtesten Generation, die die Kette des Menschengeschlechts beschliessen wird, bestimmet ist. — Doch laßt uns langsamer und behutsamer dem Wachsthum und der Entwicklung des Keimes nachgehen.

Zufluß von Nahrung und Verwandlung derselben in eigene conforme materielle Substanz sind die ersten Erfordernisse des Wachsthums. Jenes ist da, die Mutter laͤßt dem Keime die ausgearbeitetsten Saͤfte zufließen, und dieses ist gewiß auch vorhanden, indem sonst Wachsthum nicht moͤglich waͤre. Wuͤrkung und Gegenwuͤrkung immerwaͤhrende Thaͤtigkeit sind die Mittel des letztern, und hingegen Ruhe und Stillstand Mittel der Faͤulniß und der Verderbniß des Keims. Ganz gewiß wuͤrde der Keim, statt sich zu entwickeln, in Faͤulniß uͤbergehen, wenn nicht bei der großen Waͤrme, die in dem Leibe der Mutter enthalten ist, immer Thaͤtigkeit, Wuͤrkung und Gegenwuͤrkung waͤre, d.h. wenn nicht Luft da waͤre, ohne welche Thaͤtigkeit und Ausdehnung nicht gedenkbar ist.

Physische Erfahrung zeigt uns aber auch die Wuͤrklichkeit dessen, was unsere Vernunft blos vorher gewaͤhnt hatte, naͤmlich, Waͤrme, die im hoͤchsten Grade im Mutterleibe enthalten ist, ist

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[35/0037] der hiesigen Erde. Jhr habt recht, wenn ihr eure Sinne fragt, allein nur ein Blick auf die Natur, — und dann Schlus, alles athmet Leben, also auch der Keim, der jetzt in tausend Haͤuten eingeschlossen zu der spaͤtesten Generation, die die Kette des Menschengeschlechts beschliessen wird, bestimmet ist. — Doch laßt uns langsamer und behutsamer dem Wachsthum und der Entwicklung des Keimes nachgehen. Zufluß von Nahrung und Verwandlung derselben in eigene conforme materielle Substanz sind die ersten Erfordernisse des Wachsthums. Jenes ist da, die Mutter laͤßt dem Keime die ausgearbeitetsten Saͤfte zufließen, und dieses ist gewiß auch vorhanden, indem sonst Wachsthum nicht moͤglich waͤre. Wuͤrkung und Gegenwuͤrkung immerwaͤhrende Thaͤtigkeit sind die Mittel des letztern, und hingegen Ruhe und Stillstand Mittel der Faͤulniß und der Verderbniß des Keims. Ganz gewiß wuͤrde der Keim, statt sich zu entwickeln, in Faͤulniß uͤbergehen, wenn nicht bei der großen Waͤrme, die in dem Leibe der Mutter enthalten ist, immer Thaͤtigkeit, Wuͤrkung und Gegenwuͤrkung waͤre, d.h. wenn nicht Luft da waͤre, ohne welche Thaͤtigkeit und Ausdehnung nicht gedenkbar ist. Physische Erfahrung zeigt uns aber auch die Wuͤrklichkeit dessen, was unsere Vernunft blos vorher gewaͤhnt hatte, naͤmlich, Waͤrme, die im hoͤchsten Grade im Mutterleibe enthalten ist, ist

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0801_1791/37>, abgerufen am 21.11.2024.