Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791.
Um nun aber das Ziel der Wahrheitsforschung sich nicht zu voreilig aufzustecken, ist der Weg der Erfahrung der sicherste, welcher freilich die Entstehung der Lehrgebäude hindert, aber dafür eine desto festere Grundlage macht, worauf man sicher fußen kann, ehe man weiter geht. Die Erforschung unsers eigenen innersten Wesens ist nun dasjenige, was freilich näher als alles andere liegt: denn zu allem übrigen noch so weit Umfassenden müssen wir doch immer von diesem Punkt ausgehen, und immer zu diesem Punkte wieder zurückkehren. Ob nun diese Erforschung unsers Wesens, dieser Rückblick auf uns selber, mit zu unsrer Bestimmung gehören oder nicht? kann bei denkenden Wesen wohl schwerlich noch eine Frage seyn: Denn würden wir uns diesen Rückblick verbieten können, wenn wir es auch selber wollten? Und gesetzt auch, daß aus diesen Betrachtungen sich für das eigentliche Leben kein unmittelbarer Nutzen zeigte, so würde doch dieser Gesichtspunkt immer dazu dienen, den Kreis des menschlichen Denkens überhaupt zu veredeln, und zu verschönern, und allen übrigen Dingen im Leben mehr Jnteresse, und Würde zu geben -- allein der Nutzen davon, daß wir der Quelle aller Thätigkeit selber uns zu
Um nun aber das Ziel der Wahrheitsforschung sich nicht zu voreilig aufzustecken, ist der Weg der Erfahrung der sicherste, welcher freilich die Entstehung der Lehrgebaͤude hindert, aber dafuͤr eine desto festere Grundlage macht, worauf man sicher fußen kann, ehe man weiter geht. Die Erforschung unsers eigenen innersten Wesens ist nun dasjenige, was freilich naͤher als alles andere liegt: denn zu allem uͤbrigen noch so weit Umfassenden muͤssen wir doch immer von diesem Punkt ausgehen, und immer zu diesem Punkte wieder zuruͤckkehren. Ob nun diese Erforschung unsers Wesens, dieser Ruͤckblick auf uns selber, mit zu unsrer Bestimmung gehoͤren oder nicht? kann bei denkenden Wesen wohl schwerlich noch eine Frage seyn: Denn wuͤrden wir uns diesen Ruͤckblick verbieten koͤnnen, wenn wir es auch selber wollten? Und gesetzt auch, daß aus diesen Betrachtungen sich fuͤr das eigentliche Leben kein unmittelbarer Nutzen zeigte, so wuͤrde doch dieser Gesichtspunkt immer dazu dienen, den Kreis des menschlichen Denkens uͤberhaupt zu veredeln, und zu verschoͤnern, und allen uͤbrigen Dingen im Leben mehr Jnteresse, und Wuͤrde zu geben — allein der Nutzen davon, daß wir der Quelle aller Thaͤtigkeit selber uns zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0004" n="2"/><lb/> uns das hoͤchste Gut seyn; und alles Erwuͤnschte und Angenehme, was nicht mit ihr bestehen kann, in unsern Gedanken uͤberwiegen. </p> <p>Um nun aber das Ziel der Wahrheitsforschung sich nicht zu voreilig aufzustecken, ist der Weg der Erfahrung der sicherste, welcher freilich die Entstehung der Lehrgebaͤude hindert, aber dafuͤr eine desto festere Grundlage macht, worauf man sicher fußen kann, ehe man weiter geht. </p> <p>Die Erforschung unsers eigenen innersten Wesens ist nun dasjenige, was freilich naͤher als alles andere liegt: denn zu allem uͤbrigen noch so weit Umfassenden muͤssen wir doch immer von diesem Punkt ausgehen, und immer zu diesem Punkte wieder zuruͤckkehren. </p> <p>Ob nun diese Erforschung unsers Wesens, dieser Ruͤckblick auf uns selber, mit zu unsrer Bestimmung gehoͤren oder nicht? kann bei denkenden Wesen wohl schwerlich noch eine Frage seyn: Denn wuͤrden wir uns diesen Ruͤckblick verbieten koͤnnen, wenn wir es auch selber wollten? </p> <p>Und gesetzt auch, daß aus diesen Betrachtungen sich fuͤr das eigentliche Leben kein unmittelbarer Nutzen zeigte, so wuͤrde doch dieser Gesichtspunkt immer dazu dienen, den Kreis des menschlichen Denkens uͤberhaupt zu veredeln, und zu verschoͤnern, und allen uͤbrigen Dingen im Leben mehr Jnteresse, und Wuͤrde zu geben — allein der Nutzen davon, daß wir der Quelle aller Thaͤtigkeit selber uns zu<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2/0004]
uns das hoͤchste Gut seyn; und alles Erwuͤnschte und Angenehme, was nicht mit ihr bestehen kann, in unsern Gedanken uͤberwiegen.
Um nun aber das Ziel der Wahrheitsforschung sich nicht zu voreilig aufzustecken, ist der Weg der Erfahrung der sicherste, welcher freilich die Entstehung der Lehrgebaͤude hindert, aber dafuͤr eine desto festere Grundlage macht, worauf man sicher fußen kann, ehe man weiter geht.
Die Erforschung unsers eigenen innersten Wesens ist nun dasjenige, was freilich naͤher als alles andere liegt: denn zu allem uͤbrigen noch so weit Umfassenden muͤssen wir doch immer von diesem Punkt ausgehen, und immer zu diesem Punkte wieder zuruͤckkehren.
Ob nun diese Erforschung unsers Wesens, dieser Ruͤckblick auf uns selber, mit zu unsrer Bestimmung gehoͤren oder nicht? kann bei denkenden Wesen wohl schwerlich noch eine Frage seyn: Denn wuͤrden wir uns diesen Ruͤckblick verbieten koͤnnen, wenn wir es auch selber wollten?
Und gesetzt auch, daß aus diesen Betrachtungen sich fuͤr das eigentliche Leben kein unmittelbarer Nutzen zeigte, so wuͤrde doch dieser Gesichtspunkt immer dazu dienen, den Kreis des menschlichen Denkens uͤberhaupt zu veredeln, und zu verschoͤnern, und allen uͤbrigen Dingen im Leben mehr Jnteresse, und Wuͤrde zu geben — allein der Nutzen davon, daß wir der Quelle aller Thaͤtigkeit selber uns zu
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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