Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite


bemerken ist, daß Reiser damals neunzehn und O... zwanzig Jahr alt war, und wußten nicht, was sie mit dem Rest ihrer Tage anfangen sollten, als sie in dem Kloster anlangten, und in die Kirche traten, welche schon durch ihre leeren weißen Wände, und den einsamen Chor die Stille des Grabes predigte.

Die Kirche wird nehmlich außer den Karthäusern selber fast von niemand besucht, und weil keine Gemeinde dazu gehört, so ist hier auch weder Kanzel noch Stühle oder Bänke, sondern nichts als die leeren Wände und der flache Boden, welches dieser Kirche, bei dem dämmernden Lichte, das von oben durch die Fenster fällt, ein sehr ernstes und melancholisches Ansehn giebt.

O... und Reiser knieten ganz allein an einem Pult vor dem Chore, als die weißgekleideten Mönche einer nach dem andern hereintraten, und jeder sich bückend seinen Zug an der Glocke that.

Sie setzten sich an ihre Pulte auf dem Chor und stimmten ihren Bußgesang in tiefen, traurigen Tönen an -- bald standen sie auf und sangen Hymnen, die traurig zurück erschallten; dann fielen sie auf ihr Angesicht, und flehten in tiefen klagenden Tönen um Erbarmung. --

Ganz an dem einem Ende des halben Zirkels stand ein Jüngling mit blassen Wangen von ausnehmend schöner Bildung -- Reiser konnte seine


bemerken ist, daß Reiser damals neunzehn und O... zwanzig Jahr alt war, und wußten nicht, was sie mit dem Rest ihrer Tage anfangen sollten, als sie in dem Kloster anlangten, und in die Kirche traten, welche schon durch ihre leeren weißen Waͤnde, und den einsamen Chor die Stille des Grabes predigte.

Die Kirche wird nehmlich außer den Karthaͤusern selber fast von niemand besucht, und weil keine Gemeinde dazu gehoͤrt, so ist hier auch weder Kanzel noch Stuͤhle oder Baͤnke, sondern nichts als die leeren Waͤnde und der flache Boden, welches dieser Kirche, bei dem daͤmmernden Lichte, das von oben durch die Fenster faͤllt, ein sehr ernstes und melancholisches Ansehn giebt.

O... und Reiser knieten ganz allein an einem Pult vor dem Chore, als die weißgekleideten Moͤnche einer nach dem andern hereintraten, und jeder sich buͤckend seinen Zug an der Glocke that.

Sie setzten sich an ihre Pulte auf dem Chor und stimmten ihren Bußgesang in tiefen, traurigen Toͤnen an — bald standen sie auf und sangen Hymnen, die traurig zuruͤck erschallten; dann fielen sie auf ihr Angesicht, und flehten in tiefen klagenden Toͤnen um Erbarmung. —

Ganz an dem einem Ende des halben Zirkels stand ein Juͤngling mit blassen Wangen von ausnehmend schoͤner Bildung — Reiser konnte seine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0099" n="97"/><lb/>
bemerken ist, daß Reiser damals                         neunzehn und O... zwanzig Jahr alt war, und wußten nicht, was sie mit dem                         Rest ihrer Tage anfangen sollten, als sie in dem Kloster anlangten, und in                         die Kirche traten, welche schon durch ihre leeren weißen Wa&#x0364;nde, und den                         einsamen Chor die Stille des Grabes predigte. </p>
            <p>Die Kirche wird nehmlich außer den Kartha&#x0364;usern selber fast von niemand                         besucht, und weil keine Gemeinde dazu geho&#x0364;rt, so ist hier auch weder Kanzel                         noch Stu&#x0364;hle oder Ba&#x0364;nke, sondern nichts als die leeren Wa&#x0364;nde und der flache                         Boden, welches dieser Kirche, bei dem da&#x0364;mmernden Lichte, das von oben durch                         die Fenster fa&#x0364;llt, ein sehr ernstes und melancholisches Ansehn giebt. </p>
            <p>O... und Reiser knieten ganz allein an einem Pult vor dem Chore, als die                         weißgekleideten Mo&#x0364;nche einer nach dem andern hereintraten, und jeder sich                         bu&#x0364;ckend seinen Zug an der Glocke that. </p>
            <p>Sie setzten sich an ihre Pulte auf dem Chor und stimmten ihren Bußgesang in                         tiefen, traurigen To&#x0364;nen an &#x2014; bald standen sie auf und sangen Hymnen, die                         traurig zuru&#x0364;ck erschallten; dann fielen sie auf ihr Angesicht, und flehten                         in tiefen klagenden To&#x0364;nen um Erbarmung. &#x2014; </p>
            <p>Ganz an dem einem Ende des halben Zirkels stand ein Ju&#x0364;ngling mit blassen                         Wangen von ausnehmend scho&#x0364;ner Bildung &#x2014; Reiser konnte seine<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[97/0099] bemerken ist, daß Reiser damals neunzehn und O... zwanzig Jahr alt war, und wußten nicht, was sie mit dem Rest ihrer Tage anfangen sollten, als sie in dem Kloster anlangten, und in die Kirche traten, welche schon durch ihre leeren weißen Waͤnde, und den einsamen Chor die Stille des Grabes predigte. Die Kirche wird nehmlich außer den Karthaͤusern selber fast von niemand besucht, und weil keine Gemeinde dazu gehoͤrt, so ist hier auch weder Kanzel noch Stuͤhle oder Baͤnke, sondern nichts als die leeren Waͤnde und der flache Boden, welches dieser Kirche, bei dem daͤmmernden Lichte, das von oben durch die Fenster faͤllt, ein sehr ernstes und melancholisches Ansehn giebt. O... und Reiser knieten ganz allein an einem Pult vor dem Chore, als die weißgekleideten Moͤnche einer nach dem andern hereintraten, und jeder sich buͤckend seinen Zug an der Glocke that. Sie setzten sich an ihre Pulte auf dem Chor und stimmten ihren Bußgesang in tiefen, traurigen Toͤnen an — bald standen sie auf und sangen Hymnen, die traurig zuruͤck erschallten; dann fielen sie auf ihr Angesicht, und flehten in tiefen klagenden Toͤnen um Erbarmung. — Ganz an dem einem Ende des halben Zirkels stand ein Juͤngling mit blassen Wangen von ausnehmend schoͤner Bildung — Reiser konnte seine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0801_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0801_1791/99
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0801_1791/99>, abgerufen am 23.11.2024.