Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.Aus solchen allgemeinen Begriffen von dem natürlichen Bau, von dem Wesen und von der Einrichtung der Sprache, von der Beschaffenheit der Bedeutung der Wörter bilde ich den Begriff: daß alle Sprachen eigentlich nur eine Sprache sind. Alle Völkerschaften des Erdballs reden also eigentlich nur eine Sprache, die aber in eben so viele Abänderungen ausgeartet ist, als verschiedne Völker sich von einem menschlichen Geschlechte gesondert, und in einzelne Glieder des allgemeinen Menschenstaats vertheilt haben. Jch lernte viele Sprachen, nach dem gewöhnlichen Schlendrian, buchstäblich, und ich fand: viele Wörter machten unter eben den Begriffen in verschiednen Sprachen sich kenntlich, und wenn gleich einige Verschiedenheit der Aussprache und der Begriffe existirte, so war sie doch nicht essentiel, nicht beständig, sondern bloß zufällig, veränderlich und äußerst selten. Jch bildete daher, mir däucht, ziemlich richtig die Schlußfolgerung: daß solches im Grunde nur ein und eben dasselbe Wort, unter einer und eben derselben Grundbedeutung sey. Jch begann, mir Regeln davon zu drechseln, und ich merkte, daß die Anwendung derselben ein unglaubliches Hülfsmittel für das Gedächtnis gebe, eine fremde Sprache bald zu lernen. Jch glaube also, daß man eine wildfremde Sprache so am leichtesten fasset, wenn man sich Aus solchen allgemeinen Begriffen von dem natuͤrlichen Bau, von dem Wesen und von der Einrichtung der Sprache, von der Beschaffenheit der Bedeutung der Woͤrter bilde ich den Begriff: daß alle Sprachen eigentlich nur eine Sprache sind. Alle Voͤlkerschaften des Erdballs reden also eigentlich nur eine Sprache, die aber in eben so viele Abaͤnderungen ausgeartet ist, als verschiedne Voͤlker sich von einem menschlichen Geschlechte gesondert, und in einzelne Glieder des allgemeinen Menschenstaats vertheilt haben. Jch lernte viele Sprachen, nach dem gewoͤhnlichen Schlendrian, buchstaͤblich, und ich fand: viele Woͤrter machten unter eben den Begriffen in verschiednen Sprachen sich kenntlich, und wenn gleich einige Verschiedenheit der Aussprache und der Begriffe existirte, so war sie doch nicht essentiel, nicht bestaͤndig, sondern bloß zufaͤllig, veraͤnderlich und aͤußerst selten. Jch bildete daher, mir daͤucht, ziemlich richtig die Schlußfolgerung: daß solches im Grunde nur ein und eben dasselbe Wort, unter einer und eben derselben Grundbedeutung sey. Jch begann, mir Regeln davon zu drechseln, und ich merkte, daß die Anwendung derselben ein unglaubliches Huͤlfsmittel fuͤr das Gedaͤchtnis gebe, eine fremde Sprache bald zu lernen. Jch glaube also, daß man eine wildfremde Sprache so am leichtesten fasset, wenn man sich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0060" n="60"/><lb/> <p>Aus solchen allgemeinen Begriffen von dem natuͤrlichen Bau, von dem Wesen und von der Einrichtung der Sprache, von der Beschaffenheit der Bedeutung der Woͤrter bilde ich den Begriff: daß alle Sprachen eigentlich nur eine Sprache sind. Alle Voͤlkerschaften des Erdballs reden also eigentlich nur eine Sprache, die aber in eben so viele Abaͤnderungen ausgeartet ist, als verschiedne Voͤlker sich von einem menschlichen Geschlechte gesondert, und in einzelne Glieder des allgemeinen Menschenstaats vertheilt haben. </p> <p>Jch lernte viele Sprachen, nach dem gewoͤhnlichen Schlendrian, buchstaͤblich, und ich fand: viele Woͤrter machten unter eben den Begriffen in verschiednen Sprachen sich kenntlich, und wenn gleich einige Verschiedenheit der Aussprache und der Begriffe existirte, so war sie doch nicht essentiel, nicht bestaͤndig, sondern bloß zufaͤllig, veraͤnderlich und aͤußerst selten. Jch bildete daher, mir daͤucht, ziemlich richtig die Schlußfolgerung: daß solches im Grunde nur ein und eben dasselbe Wort, unter einer und eben derselben Grundbedeutung sey. Jch begann, mir Regeln davon zu drechseln, und ich merkte, daß die Anwendung derselben ein unglaubliches Huͤlfsmittel fuͤr das Gedaͤchtnis gebe, eine fremde Sprache bald zu lernen. </p> <p>Jch glaube also, daß man eine wildfremde Sprache so am leichtesten fasset, wenn man sich<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [60/0060]
Aus solchen allgemeinen Begriffen von dem natuͤrlichen Bau, von dem Wesen und von der Einrichtung der Sprache, von der Beschaffenheit der Bedeutung der Woͤrter bilde ich den Begriff: daß alle Sprachen eigentlich nur eine Sprache sind. Alle Voͤlkerschaften des Erdballs reden also eigentlich nur eine Sprache, die aber in eben so viele Abaͤnderungen ausgeartet ist, als verschiedne Voͤlker sich von einem menschlichen Geschlechte gesondert, und in einzelne Glieder des allgemeinen Menschenstaats vertheilt haben.
Jch lernte viele Sprachen, nach dem gewoͤhnlichen Schlendrian, buchstaͤblich, und ich fand: viele Woͤrter machten unter eben den Begriffen in verschiednen Sprachen sich kenntlich, und wenn gleich einige Verschiedenheit der Aussprache und der Begriffe existirte, so war sie doch nicht essentiel, nicht bestaͤndig, sondern bloß zufaͤllig, veraͤnderlich und aͤußerst selten. Jch bildete daher, mir daͤucht, ziemlich richtig die Schlußfolgerung: daß solches im Grunde nur ein und eben dasselbe Wort, unter einer und eben derselben Grundbedeutung sey. Jch begann, mir Regeln davon zu drechseln, und ich merkte, daß die Anwendung derselben ein unglaubliches Huͤlfsmittel fuͤr das Gedaͤchtnis gebe, eine fremde Sprache bald zu lernen.
Jch glaube also, daß man eine wildfremde Sprache so am leichtesten fasset, wenn man sich
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