Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite


Musse hatte, dachte ich: siehe du wähnst, daß alle Sprachen aus einer erlernt werden können; mache nun die Probe! Spanisch und Polnisch sollen mit dem Teutschen keine Verwandschaft haben. Versuche, ob du es verstehst, ohne es gelernt zu haben. Jch war muthig genug, meinen angenommenen Satz zu zernichten oder zu bauen. Jch fing meinen Weg an, wie mit Spornen getrieben; und ich entdeckte ein Wort nach dem andern, wie es im Grunde, und nach dem Hauptbegriffe teutsch, und nur nach der Aussprache und in zufälliger Bedeutung sich spanisch oder polnisch darstellte, das ist anders, als ich bisher im Teutschen gewohnt war. Jch konnte hiebei unmöglich gleichgültig seyn. Jch freute mich, wie ein Wandrer, der auf ungewissem dunkeln Pfade irrt, und dem plötzlich ein Lichtstral schimmert. Jch schaffte mir ein spanisches und polnisches Wörterbuch an, und sah was diese Sprachen mit der teutschen oder andern bekannten Sprachen gemein haben. Jch beobachtete, wie die Begriffe sich bei den Worten aus allgemeinen in besondre, und umgekehrt, verändern. Jch legte den Grund zu einer systematischen Erkenntniß der Sprache, welche die Sprache in Philosophie verwandelt, und die Philosophie in Sprachen darstellt.

Jch bin bekanntlich Lehrer am Königl. Preuß. Jnstitute für Taub- und andere Stumme; die Stummen lernen gewöhnlich nur eine Sprache,


Musse hatte, dachte ich: siehe du waͤhnst, daß alle Sprachen aus einer erlernt werden koͤnnen; mache nun die Probe! Spanisch und Polnisch sollen mit dem Teutschen keine Verwandschaft haben. Versuche, ob du es verstehst, ohne es gelernt zu haben. Jch war muthig genug, meinen angenommenen Satz zu zernichten oder zu bauen. Jch fing meinen Weg an, wie mit Spornen getrieben; und ich entdeckte ein Wort nach dem andern, wie es im Grunde, und nach dem Hauptbegriffe teutsch, und nur nach der Aussprache und in zufaͤlliger Bedeutung sich spanisch oder polnisch darstellte, das ist anders, als ich bisher im Teutschen gewohnt war. Jch konnte hiebei unmoͤglich gleichguͤltig seyn. Jch freute mich, wie ein Wandrer, der auf ungewissem dunkeln Pfade irrt, und dem ploͤtzlich ein Lichtstral schimmert. Jch schaffte mir ein spanisches und polnisches Woͤrterbuch an, und sah was diese Sprachen mit der teutschen oder andern bekannten Sprachen gemein haben. Jch beobachtete, wie die Begriffe sich bei den Worten aus allgemeinen in besondre, und umgekehrt, veraͤndern. Jch legte den Grund zu einer systematischen Erkenntniß der Sprache, welche die Sprache in Philosophie verwandelt, und die Philosophie in Sprachen darstellt.

Jch bin bekanntlich Lehrer am Koͤnigl. Preuß. Jnstitute fuͤr Taub- und andere Stumme; die Stummen lernen gewoͤhnlich nur eine Sprache,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0062" n="62"/><lb/>
Musse hatte, dachte ich: siehe du                         wa&#x0364;hnst, daß alle Sprachen aus einer erlernt werden ko&#x0364;nnen; mache nun die                         Probe! Spanisch und Polnisch sollen mit dem Teutschen keine Verwandschaft                         haben. Versuche, ob du es verstehst, ohne es gelernt zu haben. Jch war                         muthig genug, meinen angenommenen Satz zu zernichten oder zu bauen. Jch fing                         meinen Weg an, wie mit Spornen getrieben; und ich entdeckte ein Wort nach                         dem andern, wie es im Grunde, und nach dem Hauptbegriffe teutsch, und nur                         nach der Aussprache und in zufa&#x0364;lliger Bedeutung sich spanisch oder polnisch                         darstellte, das ist anders, als ich bisher im Teutschen gewohnt war. Jch                         konnte hiebei unmo&#x0364;glich gleichgu&#x0364;ltig seyn. Jch freute mich, wie ein Wandrer,                         der auf ungewissem dunkeln Pfade irrt, und dem plo&#x0364;tzlich ein Lichtstral                         schimmert. Jch schaffte mir ein spanisches und polnisches Wo&#x0364;rterbuch an, und                         sah was diese Sprachen mit der teutschen oder andern bekannten Sprachen                         gemein haben. Jch beobachtete, wie die Begriffe sich bei den Worten aus                         allgemeinen in besondre, und umgekehrt, vera&#x0364;ndern. Jch legte den Grund zu                         einer systematischen Erkenntniß der Sprache, welche die Sprache in                         Philosophie verwandelt, und die Philosophie in Sprachen darstellt. </p>
            <p>Jch bin bekanntlich Lehrer am Ko&#x0364;nigl. Preuß. Jnstitute fu&#x0364;r Taub- und andere                         Stumme; die Stummen lernen gewo&#x0364;hnlich nur eine Sprache,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[62/0062] Musse hatte, dachte ich: siehe du waͤhnst, daß alle Sprachen aus einer erlernt werden koͤnnen; mache nun die Probe! Spanisch und Polnisch sollen mit dem Teutschen keine Verwandschaft haben. Versuche, ob du es verstehst, ohne es gelernt zu haben. Jch war muthig genug, meinen angenommenen Satz zu zernichten oder zu bauen. Jch fing meinen Weg an, wie mit Spornen getrieben; und ich entdeckte ein Wort nach dem andern, wie es im Grunde, und nach dem Hauptbegriffe teutsch, und nur nach der Aussprache und in zufaͤlliger Bedeutung sich spanisch oder polnisch darstellte, das ist anders, als ich bisher im Teutschen gewohnt war. Jch konnte hiebei unmoͤglich gleichguͤltig seyn. Jch freute mich, wie ein Wandrer, der auf ungewissem dunkeln Pfade irrt, und dem ploͤtzlich ein Lichtstral schimmert. Jch schaffte mir ein spanisches und polnisches Woͤrterbuch an, und sah was diese Sprachen mit der teutschen oder andern bekannten Sprachen gemein haben. Jch beobachtete, wie die Begriffe sich bei den Worten aus allgemeinen in besondre, und umgekehrt, veraͤndern. Jch legte den Grund zu einer systematischen Erkenntniß der Sprache, welche die Sprache in Philosophie verwandelt, und die Philosophie in Sprachen darstellt. Jch bin bekanntlich Lehrer am Koͤnigl. Preuß. Jnstitute fuͤr Taub- und andere Stumme; die Stummen lernen gewoͤhnlich nur eine Sprache,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/62
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/62>, abgerufen am 24.11.2024.