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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.

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Jn ihm freut sich noch der erste Mensch seines Daseyns; genießt noch immer die frohen Augenblicke im Paradiese, und freuet sich seiner reitzenden Gehülfin. Jn ihm verscherzt er noch sein Glück, und bauet mit Mühe den Acker u.s.w., welch ein erstaunlicher Gedanke, daß alles nebeneinander wie Licht und Schatten zu sehen, welch ein unbegreifliches Gemälde.

Ach also ist von dem Vergangenen nichts vergangen, so ist noch alles so da, wie es war, aufbewahrt in dem allumfassenden Gedanken des Ewigen. Wie tröstlich! Wie es mich manchmal kränkte: wenn ich dachte, mit dem ists nun vorbei, das ist nun auf ewig dahin!

Darum klage nicht, daß dein Freund im Staube modert! er blühet noch in seiner schönsten Jugend. Die Jahre seiner Kindheit sind noch nicht verflossen, ob er gleich jetzt im Staube verweset.

Du bist nur gerade jetzt in solchem Verhältniß gegen ihn, daß du den gegenwärtigen Punkt seiner Veränderungen, Verwesung im Grabe, bemerken kannst. Das Verhältniß des Ewgen gegen ihn ist so, daß er sein Verwesen im Grabe und das Aufblühen seiner Jugend jetzt zugleich bemerkt, und daß auch schon sein verklärter Körper wirklich da steht. Wo dein Verhältniß aufhört, das scheint dir vergangen zu seyn. Du täuschest dich aber. Vielleicht wird uns einmal die Wonne gewährt unser Daseyn so nebeneinander zu sehen, vielleicht


Jn ihm freut sich noch der erste Mensch seines Daseyns; genießt noch immer die frohen Augenblicke im Paradiese, und freuet sich seiner reitzenden Gehuͤlfin. Jn ihm verscherzt er noch sein Gluͤck, und bauet mit Muͤhe den Acker u.s.w., welch ein erstaunlicher Gedanke, daß alles nebeneinander wie Licht und Schatten zu sehen, welch ein unbegreifliches Gemaͤlde.

Ach also ist von dem Vergangenen nichts vergangen, so ist noch alles so da, wie es war, aufbewahrt in dem allumfassenden Gedanken des Ewigen. Wie troͤstlich! Wie es mich manchmal kraͤnkte: wenn ich dachte, mit dem ists nun vorbei, das ist nun auf ewig dahin!

Darum klage nicht, daß dein Freund im Staube modert! er bluͤhet noch in seiner schoͤnsten Jugend. Die Jahre seiner Kindheit sind noch nicht verflossen, ob er gleich jetzt im Staube verweset.

Du bist nur gerade jetzt in solchem Verhaͤltniß gegen ihn, daß du den gegenwaͤrtigen Punkt seiner Veraͤnderungen, Verwesung im Grabe, bemerken kannst. Das Verhaͤltniß des Ewgen gegen ihn ist so, daß er sein Verwesen im Grabe und das Aufbluͤhen seiner Jugend jetzt zugleich bemerkt, und daß auch schon sein verklaͤrter Koͤrper wirklich da steht. Wo dein Verhaͤltniß aufhoͤrt, das scheint dir vergangen zu seyn. Du taͤuschest dich aber. Vielleicht wird uns einmal die Wonne gewaͤhrt unser Daseyn so nebeneinander zu sehen, vielleicht

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[68/0068] Jn ihm freut sich noch der erste Mensch seines Daseyns; genießt noch immer die frohen Augenblicke im Paradiese, und freuet sich seiner reitzenden Gehuͤlfin. Jn ihm verscherzt er noch sein Gluͤck, und bauet mit Muͤhe den Acker u.s.w., welch ein erstaunlicher Gedanke, daß alles nebeneinander wie Licht und Schatten zu sehen, welch ein unbegreifliches Gemaͤlde. Ach also ist von dem Vergangenen nichts vergangen, so ist noch alles so da, wie es war, aufbewahrt in dem allumfassenden Gedanken des Ewigen. Wie troͤstlich! Wie es mich manchmal kraͤnkte: wenn ich dachte, mit dem ists nun vorbei, das ist nun auf ewig dahin! Darum klage nicht, daß dein Freund im Staube modert! er bluͤhet noch in seiner schoͤnsten Jugend. Die Jahre seiner Kindheit sind noch nicht verflossen, ob er gleich jetzt im Staube verweset. Du bist nur gerade jetzt in solchem Verhaͤltniß gegen ihn, daß du den gegenwaͤrtigen Punkt seiner Veraͤnderungen, Verwesung im Grabe, bemerken kannst. Das Verhaͤltniß des Ewgen gegen ihn ist so, daß er sein Verwesen im Grabe und das Aufbluͤhen seiner Jugend jetzt zugleich bemerkt, und daß auch schon sein verklaͤrter Koͤrper wirklich da steht. Wo dein Verhaͤltniß aufhoͤrt, das scheint dir vergangen zu seyn. Du taͤuschest dich aber. Vielleicht wird uns einmal die Wonne gewaͤhrt unser Daseyn so nebeneinander zu sehen, vielleicht

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/68>, abgerufen am 24.11.2024.