Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.Dies dauerte denn so lange, bis die Empfindung in sich selbst wieder zurücksank, ohne auch nur ein paar vernünftige Zeilen, zum Anfange von etwas Bestimmten, ausgebohren zu haben. Nun war also während dieser Krisis nichts Schönes entstanden, woran sich die Seele nachher hätte festhalten können, und alles andre, was würklich schon da war, wurde nun keines Blicks mehr gewürdiget. Es war, als ob die Seele eine dunkle Vorstellung von etwas gehabt hätte, was sie selbst nicht seyn konnte, und wodurch ihr eigenes Daseyn ihr verächtlich wurde. Es ist wohl ein untrügliches Zeichen, daß einer keinen Beruf zum Dichter habe, den blos eine Empfindung im Allgemeinen zum Dichten veranlaßt, und bei dem nicht schon die bestimmte Scene, die er dichten will, noch eher als diese Empfindung, oder wenigstens zugleich mit der Empfindung da ist. Kurz, wer nicht während der Empfindung zugleich einen Blick in das ganze Detaille der Scene werfen kann, der hat nur Empfindung, aber kein Dichtungsvermögen. Und gewiß ist nichts gefährlicher, als einem solchen täuschenden Hange sich zu überlassen; die warnende Stimme kann nicht früh genug dem Jüngling zurufen, sein Jnnerstes zu prüfen, ob nicht der Wunsch bei ihm an die Stelle der Kraft tritt, und Dies dauerte denn so lange, bis die Empfindung in sich selbst wieder zuruͤcksank, ohne auch nur ein paar vernuͤnftige Zeilen, zum Anfange von etwas Bestimmten, ausgebohren zu haben. Nun war also waͤhrend dieser Krisis nichts Schoͤnes entstanden, woran sich die Seele nachher haͤtte festhalten koͤnnen, und alles andre, was wuͤrklich schon da war, wurde nun keines Blicks mehr gewuͤrdiget. Es war, als ob die Seele eine dunkle Vorstellung von etwas gehabt haͤtte, was sie selbst nicht seyn konnte, und wodurch ihr eigenes Daseyn ihr veraͤchtlich wurde. Es ist wohl ein untruͤgliches Zeichen, daß einer keinen Beruf zum Dichter habe, den blos eine Empfindung im Allgemeinen zum Dichten veranlaßt, und bei dem nicht schon die bestimmte Scene, die er dichten will, noch eher als diese Empfindung, oder wenigstens zugleich mit der Empfindung da ist. Kurz, wer nicht waͤhrend der Empfindung zugleich einen Blick in das ganze Detaille der Scene werfen kann, der hat nur Empfindung, aber kein Dichtungsvermoͤgen. Und gewiß ist nichts gefaͤhrlicher, als einem solchen taͤuschenden Hange sich zu uͤberlassen; die warnende Stimme kann nicht fruͤh genug dem Juͤngling zurufen, sein Jnnerstes zu pruͤfen, ob nicht der Wunsch bei ihm an die Stelle der Kraft tritt, und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0109" n="109"/><lb/> <p>Dies dauerte denn so lange, bis die Empfindung in sich selbst wieder zuruͤcksank, ohne auch nur ein paar vernuͤnftige Zeilen, zum Anfange von etwas Bestimmten, ausgebohren zu haben. </p> <p>Nun war also waͤhrend dieser Krisis nichts Schoͤnes entstanden, woran sich die Seele nachher haͤtte festhalten koͤnnen, und alles andre, was wuͤrklich schon da war, wurde nun keines Blicks mehr gewuͤrdiget. </p> <p>Es war, als ob die Seele eine dunkle Vorstellung von etwas gehabt haͤtte, was sie selbst nicht seyn konnte, und wodurch ihr eigenes Daseyn ihr veraͤchtlich wurde. </p> <p>Es ist wohl ein untruͤgliches Zeichen, daß einer keinen Beruf zum Dichter habe, <hi rendition="#b">den blos eine Empfindung im Allgemeinen zum Dichten veranlaßt, und bei dem nicht schon die bestimmte Scene, die er dichten will, noch eher als diese Empfindung, oder wenigstens zugleich mit der Empfindung da ist. Kurz, wer nicht waͤhrend der Empfindung zugleich einen Blick in das ganze Detaille der Scene werfen kann, der hat nur Empfindung, aber kein Dichtungsvermoͤgen.</hi> </p> <p>Und gewiß ist nichts gefaͤhrlicher, als einem solchen taͤuschenden Hange sich zu uͤberlassen; die warnende Stimme kann nicht fruͤh genug dem Juͤngling zurufen, sein Jnnerstes zu pruͤfen, ob nicht der Wunsch bei ihm an die Stelle der Kraft tritt, und<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [109/0109]
Dies dauerte denn so lange, bis die Empfindung in sich selbst wieder zuruͤcksank, ohne auch nur ein paar vernuͤnftige Zeilen, zum Anfange von etwas Bestimmten, ausgebohren zu haben.
Nun war also waͤhrend dieser Krisis nichts Schoͤnes entstanden, woran sich die Seele nachher haͤtte festhalten koͤnnen, und alles andre, was wuͤrklich schon da war, wurde nun keines Blicks mehr gewuͤrdiget.
Es war, als ob die Seele eine dunkle Vorstellung von etwas gehabt haͤtte, was sie selbst nicht seyn konnte, und wodurch ihr eigenes Daseyn ihr veraͤchtlich wurde.
Es ist wohl ein untruͤgliches Zeichen, daß einer keinen Beruf zum Dichter habe, den blos eine Empfindung im Allgemeinen zum Dichten veranlaßt, und bei dem nicht schon die bestimmte Scene, die er dichten will, noch eher als diese Empfindung, oder wenigstens zugleich mit der Empfindung da ist. Kurz, wer nicht waͤhrend der Empfindung zugleich einen Blick in das ganze Detaille der Scene werfen kann, der hat nur Empfindung, aber kein Dichtungsvermoͤgen.
Und gewiß ist nichts gefaͤhrlicher, als einem solchen taͤuschenden Hange sich zu uͤberlassen; die warnende Stimme kann nicht fruͤh genug dem Juͤngling zurufen, sein Jnnerstes zu pruͤfen, ob nicht der Wunsch bei ihm an die Stelle der Kraft tritt, und
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/109>, abgerufen am 16.02.2025. |