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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.

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weil er diese Stelle nie ausfüllen kann, ein ewiges Unbehagen die Strafe verbotenen Genusses bleibt.

Dies war der Fall bei R..., der die besten Stunden seines Lebens, durch mislungene Versuche trübte, durch unnützes Streben nach einem täuschenden Blendwerke, das immer vor seiner Seele schwebte, und wenn er es nun zu umfassen glaubte, plötzlich in Rauch und Nebel verschwand.

Wenn nun je der Reiz des Poetischen bei einem Menschen mit seinem Leben und seinen Schicksalen kontrastirt, so war es bei R..., der von seiner Kindheit an in einer Sphäre war, die ihn bis zum Staube niederdrückte, und wo er bis zum Poetischen zu gelangen, immer erst eine Stufe der Menschenbildung überspringen mußte, ohne sich auf der folgenden erhalten zu können.

So gieng es ihm nun jetzt wieder in seiner äußerlichen Lage; er hatte eigentlich keine Stube für sich, sondern mußte, da es nun anfing kälter zu werden, mit in der gemeinschaftlichen Stube wohnen, deren Einwohner, wenn ausgefegt wurde, so lange herausgehen mußten.

Jn dieser Stube wohnte die ganze Familie, nebst R... und noch einem Studenten, und jeder nahm seine Besuche von Fremden darin an; es wurde darin erzählt, von Kindern gelärmt, gesungen, gezankt und geschrieen; und dies war nun die nächste Umgebung, worin R... seine philosophische Abhandlung über die Empfindsamkeit schreiben,


weil er diese Stelle nie ausfuͤllen kann, ein ewiges Unbehagen die Strafe verbotenen Genusses bleibt.

Dies war der Fall bei R..., der die besten Stunden seines Lebens, durch mislungene Versuche truͤbte, durch unnuͤtzes Streben nach einem taͤuschenden Blendwerke, das immer vor seiner Seele schwebte, und wenn er es nun zu umfassen glaubte, ploͤtzlich in Rauch und Nebel verschwand.

Wenn nun je der Reiz des Poetischen bei einem Menschen mit seinem Leben und seinen Schicksalen kontrastirt, so war es bei R..., der von seiner Kindheit an in einer Sphaͤre war, die ihn bis zum Staube niederdruͤckte, und wo er bis zum Poetischen zu gelangen, immer erst eine Stufe der Menschenbildung uͤberspringen mußte, ohne sich auf der folgenden erhalten zu koͤnnen.

So gieng es ihm nun jetzt wieder in seiner aͤußerlichen Lage; er hatte eigentlich keine Stube fuͤr sich, sondern mußte, da es nun anfing kaͤlter zu werden, mit in der gemeinschaftlichen Stube wohnen, deren Einwohner, wenn ausgefegt wurde, so lange herausgehen mußten.

Jn dieser Stube wohnte die ganze Familie, nebst R... und noch einem Studenten, und jeder nahm seine Besuche von Fremden darin an; es wurde darin erzaͤhlt, von Kindern gelaͤrmt, gesungen, gezankt und geschrieen; und dies war nun die naͤchste Umgebung, worin R... seine philosophische Abhandlung uͤber die Empfindsamkeit schreiben,

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[110/0110] weil er diese Stelle nie ausfuͤllen kann, ein ewiges Unbehagen die Strafe verbotenen Genusses bleibt. Dies war der Fall bei R..., der die besten Stunden seines Lebens, durch mislungene Versuche truͤbte, durch unnuͤtzes Streben nach einem taͤuschenden Blendwerke, das immer vor seiner Seele schwebte, und wenn er es nun zu umfassen glaubte, ploͤtzlich in Rauch und Nebel verschwand. Wenn nun je der Reiz des Poetischen bei einem Menschen mit seinem Leben und seinen Schicksalen kontrastirt, so war es bei R..., der von seiner Kindheit an in einer Sphaͤre war, die ihn bis zum Staube niederdruͤckte, und wo er bis zum Poetischen zu gelangen, immer erst eine Stufe der Menschenbildung uͤberspringen mußte, ohne sich auf der folgenden erhalten zu koͤnnen. So gieng es ihm nun jetzt wieder in seiner aͤußerlichen Lage; er hatte eigentlich keine Stube fuͤr sich, sondern mußte, da es nun anfing kaͤlter zu werden, mit in der gemeinschaftlichen Stube wohnen, deren Einwohner, wenn ausgefegt wurde, so lange herausgehen mußten. Jn dieser Stube wohnte die ganze Familie, nebst R... und noch einem Studenten, und jeder nahm seine Besuche von Fremden darin an; es wurde darin erzaͤhlt, von Kindern gelaͤrmt, gesungen, gezankt und geschrieen; und dies war nun die naͤchste Umgebung, worin R... seine philosophische Abhandlung uͤber die Empfindsamkeit schreiben,

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/110>, abgerufen am 19.05.2024.