Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.Dann irrte er weiter umher, bis es Abend wurde, wo der Himmel sich mit Wolken überzog, und ein starker Regen fiel, der ihn bald bis auf die Haut durchnetzte. Der Fieberfrost, welcher sich nun zu den innern Unruhen seines Gemüths gesellte, trieb ihn in Sturm und Regen umher, bei altem Gemäuer und durch einsame öde Straßen, denn in seine bisherige Wohnung zurückzukehren, davon konnte er den Gedanken nicht ertragen. Er stieg die hohe Treppe zu dem alten Dom hinauf, band sich ein Tuch um den Kopf, und suchte sich unter altem Gemäuer eine Weile vor dem Regen zu schützen. Vor Müdigkeit fiel er hier in eine Art von betäubendem Schlummer, aus dem er durch einen neuen Regenguß, und durch das Getöse des Windes wieder erweckt wurde. Jndem ihm nun der Regen ins Gesicht schlug, fiel ihm die Stelle aus dem Lear ein: to shut me out, in such a night as this! (Die Thüren vor mir zu verschließen, in einer Nacht wie diese!) Und nun spielte er die Rolle des Lear in seiner eigenen Verzweifelung durch, und vergaß sich in dem Schicksale Lears, der von seinen eigenen Töchtern verbannt, in der stürmischen Nacht umherirrt, und die Elemente auffordert, die entsetzliche Beleidigung zu rächen. Dann irrte er weiter umher, bis es Abend wurde, wo der Himmel sich mit Wolken uͤberzog, und ein starker Regen fiel, der ihn bald bis auf die Haut durchnetzte. Der Fieberfrost, welcher sich nun zu den innern Unruhen seines Gemuͤths gesellte, trieb ihn in Sturm und Regen umher, bei altem Gemaͤuer und durch einsame oͤde Straßen, denn in seine bisherige Wohnung zuruͤckzukehren, davon konnte er den Gedanken nicht ertragen. Er stieg die hohe Treppe zu dem alten Dom hinauf, band sich ein Tuch um den Kopf, und suchte sich unter altem Gemaͤuer eine Weile vor dem Regen zu schuͤtzen. Vor Muͤdigkeit fiel er hier in eine Art von betaͤubendem Schlummer, aus dem er durch einen neuen Regenguß, und durch das Getoͤse des Windes wieder erweckt wurde. Jndem ihm nun der Regen ins Gesicht schlug, fiel ihm die Stelle aus dem Lear ein: to shut me out, in such a night as this! (Die Thuͤren vor mir zu verschließen, in einer Nacht wie diese!) Und nun spielte er die Rolle des Lear in seiner eigenen Verzweifelung durch, und vergaß sich in dem Schicksale Lears, der von seinen eigenen Toͤchtern verbannt, in der stuͤrmischen Nacht umherirrt, und die Elemente auffordert, die entsetzliche Beleidigung zu raͤchen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0115" n="115"/><lb/> <p>Dann irrte er weiter umher, bis es Abend wurde, wo der Himmel sich mit Wolken uͤberzog, und ein starker Regen fiel, der ihn bald bis auf die Haut durchnetzte. </p> <p>Der Fieberfrost, welcher sich nun zu den innern Unruhen seines Gemuͤths gesellte, trieb ihn in Sturm und Regen umher, bei altem Gemaͤuer und durch einsame oͤde Straßen, denn in seine bisherige Wohnung zuruͤckzukehren, davon konnte er den Gedanken nicht ertragen. </p> <p>Er stieg die hohe Treppe zu dem alten Dom hinauf, band sich ein Tuch um den Kopf, und suchte sich unter altem Gemaͤuer eine Weile vor dem Regen zu schuͤtzen. </p> <p>Vor Muͤdigkeit fiel er hier in eine Art von betaͤubendem Schlummer, aus dem er durch einen neuen Regenguß, und durch das Getoͤse des Windes wieder erweckt wurde. </p> <p>Jndem ihm nun der Regen ins Gesicht schlug, fiel ihm die Stelle aus dem Lear ein: <hi rendition="#aq">to shut me out, in such a night as this!</hi> (Die Thuͤren vor mir zu verschließen, in einer Nacht wie diese!) Und nun spielte er die Rolle des Lear in seiner eigenen Verzweifelung durch, und vergaß sich in dem Schicksale Lears, der von seinen eigenen Toͤchtern verbannt, in der stuͤrmischen Nacht umherirrt, und die Elemente auffordert, die entsetzliche Beleidigung zu raͤchen. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [115/0115]
Dann irrte er weiter umher, bis es Abend wurde, wo der Himmel sich mit Wolken uͤberzog, und ein starker Regen fiel, der ihn bald bis auf die Haut durchnetzte.
Der Fieberfrost, welcher sich nun zu den innern Unruhen seines Gemuͤths gesellte, trieb ihn in Sturm und Regen umher, bei altem Gemaͤuer und durch einsame oͤde Straßen, denn in seine bisherige Wohnung zuruͤckzukehren, davon konnte er den Gedanken nicht ertragen.
Er stieg die hohe Treppe zu dem alten Dom hinauf, band sich ein Tuch um den Kopf, und suchte sich unter altem Gemaͤuer eine Weile vor dem Regen zu schuͤtzen.
Vor Muͤdigkeit fiel er hier in eine Art von betaͤubendem Schlummer, aus dem er durch einen neuen Regenguß, und durch das Getoͤse des Windes wieder erweckt wurde.
Jndem ihm nun der Regen ins Gesicht schlug, fiel ihm die Stelle aus dem Lear ein: to shut me out, in such a night as this! (Die Thuͤren vor mir zu verschließen, in einer Nacht wie diese!) Und nun spielte er die Rolle des Lear in seiner eigenen Verzweifelung durch, und vergaß sich in dem Schicksale Lears, der von seinen eigenen Toͤchtern verbannt, in der stuͤrmischen Nacht umherirrt, und die Elemente auffordert, die entsetzliche Beleidigung zu raͤchen.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/115>, abgerufen am 16.02.2025. |