Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.Der Gedanke des Lästigseyns, und daß er von den Leuten, unter denen er lebte, gleichsam nur geduldet würde, machte ihm wiederum seine eigene Existenz verhaßt. Alle Erinnerungen aus seiner Jugend und Kindheit drängten sich zusammen. Er häufte selber alle Schmach auf sich, und wollte verzweiflungsvoll sich einem blinden Schicksale aufs Neue überlassen. Nun gieng er zu F..., um Abschied von ihm zu nehmen, ohne ihm eine eigentliche Ursache sagen zu können, weswegen er Erfurt wieder verlassen wolle. Der Doktor F... schob diesen Entschluß auf seine Melancholie, redete ihm zu, daß er bleiben solle, und entließ ihn nicht eher, bis R... ihm versprochen hatte, wenigstens heute und morgen noch nicht abzureisen. Diese Theilnehmung an seinem Schicksale war nun zwar für R... sehr schmeichelhaft; sobald er sich aber wieder allein befand, verfolgte der Gedanke des Lästigseyns in seiner nächsten Umgebung ihn wie ein quälender Geist, er hatte nirgends Ruhe noch Rast; streifte in den einsamsten Gegenden von Erfurt umher, in der Gegend des Karthäuserklosters, wohin er sich nun im Ernst, wie nach einem sichern Zufluchtsorte sehnte, und wehmüthig nach den stillen Mauren hinüberblickte. Der Gedanke des Laͤstigseyns, und daß er von den Leuten, unter denen er lebte, gleichsam nur geduldet wuͤrde, machte ihm wiederum seine eigene Existenz verhaßt. Alle Erinnerungen aus seiner Jugend und Kindheit draͤngten sich zusammen. Er haͤufte selber alle Schmach auf sich, und wollte verzweiflungsvoll sich einem blinden Schicksale aufs Neue uͤberlassen. Nun gieng er zu F..., um Abschied von ihm zu nehmen, ohne ihm eine eigentliche Ursache sagen zu koͤnnen, weswegen er Erfurt wieder verlassen wolle. Der Doktor F... schob diesen Entschluß auf seine Melancholie, redete ihm zu, daß er bleiben solle, und entließ ihn nicht eher, bis R... ihm versprochen hatte, wenigstens heute und morgen noch nicht abzureisen. Diese Theilnehmung an seinem Schicksale war nun zwar fuͤr R... sehr schmeichelhaft; sobald er sich aber wieder allein befand, verfolgte der Gedanke des Laͤstigseyns in seiner naͤchsten Umgebung ihn wie ein quaͤlender Geist, er hatte nirgends Ruhe noch Rast; streifte in den einsamsten Gegenden von Erfurt umher, in der Gegend des Karthaͤuserklosters, wohin er sich nun im Ernst, wie nach einem sichern Zufluchtsorte sehnte, und wehmuͤthig nach den stillen Mauren hinuͤberblickte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0114" n="114"/><lb/> <p>Der Gedanke des Laͤstigseyns, und daß er von den Leuten, unter denen er lebte, gleichsam nur geduldet wuͤrde, machte ihm wiederum seine eigene Existenz verhaßt. </p> <p>Alle Erinnerungen aus seiner Jugend und Kindheit draͤngten sich zusammen. </p> <p>Er haͤufte selber alle Schmach auf sich, und wollte verzweiflungsvoll sich einem blinden Schicksale aufs Neue uͤberlassen. </p> <p>Nun gieng er zu F..., um Abschied von ihm zu nehmen, ohne ihm eine eigentliche Ursache sagen zu koͤnnen, weswegen er Erfurt wieder verlassen wolle. </p> <p>Der Doktor F... schob diesen Entschluß auf seine Melancholie, redete ihm zu, daß er bleiben solle, und entließ ihn nicht eher, bis R... ihm versprochen hatte, wenigstens heute und morgen noch nicht abzureisen. </p> <p>Diese Theilnehmung an seinem Schicksale war nun zwar fuͤr R... sehr schmeichelhaft; sobald er sich aber wieder allein befand, verfolgte der Gedanke des Laͤstigseyns in seiner naͤchsten Umgebung ihn wie ein quaͤlender Geist, er hatte nirgends Ruhe noch Rast; streifte in den einsamsten Gegenden von Erfurt umher, in der Gegend des Karthaͤuserklosters, wohin er sich nun im Ernst, wie nach einem sichern Zufluchtsorte sehnte, und wehmuͤthig nach den stillen Mauren hinuͤberblickte. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [114/0114]
Der Gedanke des Laͤstigseyns, und daß er von den Leuten, unter denen er lebte, gleichsam nur geduldet wuͤrde, machte ihm wiederum seine eigene Existenz verhaßt.
Alle Erinnerungen aus seiner Jugend und Kindheit draͤngten sich zusammen.
Er haͤufte selber alle Schmach auf sich, und wollte verzweiflungsvoll sich einem blinden Schicksale aufs Neue uͤberlassen.
Nun gieng er zu F..., um Abschied von ihm zu nehmen, ohne ihm eine eigentliche Ursache sagen zu koͤnnen, weswegen er Erfurt wieder verlassen wolle.
Der Doktor F... schob diesen Entschluß auf seine Melancholie, redete ihm zu, daß er bleiben solle, und entließ ihn nicht eher, bis R... ihm versprochen hatte, wenigstens heute und morgen noch nicht abzureisen.
Diese Theilnehmung an seinem Schicksale war nun zwar fuͤr R... sehr schmeichelhaft; sobald er sich aber wieder allein befand, verfolgte der Gedanke des Laͤstigseyns in seiner naͤchsten Umgebung ihn wie ein quaͤlender Geist, er hatte nirgends Ruhe noch Rast; streifte in den einsamsten Gegenden von Erfurt umher, in der Gegend des Karthaͤuserklosters, wohin er sich nun im Ernst, wie nach einem sichern Zufluchtsorte sehnte, und wehmuͤthig nach den stillen Mauren hinuͤberblickte.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/114>, abgerufen am 16.02.2025. |