Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.Dies war denn auch der Fall bei R...; er gieng schon mit einem Gedichte über die Schöpfung schwanger, wo der Stoff nun freilich der allerentfernteste war, den die Einbildungskraft sich denken konnte, und wo er statt des Detail, vor dem er sich scheute, lauter große Massen vor sich fand, deren Darstellung man denn für die eigentlich erhabene Poesie hält; und wozu die unberufenen jungen Dichter immer weit mehr Lust haben, als zu dem, was dem Menschen nahe liegt; denn in dies letztere muß freilich ihr Genie die Erhabenheit erst herein tragen, welche sie in jenem schon vor sich zu finden glauben. R...s äußere Lage wurde hiebei mit jedem Tage drückender, weil die gehofte Unterstützung aus H... nicht erfolgte, und seine Hausleute ihn immer mehr mit schielen Blicken ansahen, je mehr sie inne wurden, daß er weder Geld besitze, noch welches zu hoffen habe. Sein Frühstück und Abendbrodt, was er hier genoß, war er nicht im Stande zu bezahlen, und man ließ ihm deutlich merken, daß man nicht länger Willens sey, ihm zu borgen; da man also keinen Nutzen von ihm ziehen konnte, und er überdem ein trauriger Gesellschafter war, so war es natürlich, daß man seiner loß zu seyn wünschte, und ihm die Wohnung aufkündigte. So wenig auffallend dieß nun an sich war, so tragisch nahm es R... Dies war denn auch der Fall bei R...; er gieng schon mit einem Gedichte uͤber die Schoͤpfung schwanger, wo der Stoff nun freilich der allerentfernteste war, den die Einbildungskraft sich denken konnte, und wo er statt des Detail, vor dem er sich scheute, lauter große Massen vor sich fand, deren Darstellung man denn fuͤr die eigentlich erhabene Poesie haͤlt; und wozu die unberufenen jungen Dichter immer weit mehr Lust haben, als zu dem, was dem Menschen nahe liegt; denn in dies letztere muß freilich ihr Genie die Erhabenheit erst herein tragen, welche sie in jenem schon vor sich zu finden glauben. R...s aͤußere Lage wurde hiebei mit jedem Tage druͤckender, weil die gehofte Unterstuͤtzung aus H... nicht erfolgte, und seine Hausleute ihn immer mehr mit schielen Blicken ansahen, je mehr sie inne wurden, daß er weder Geld besitze, noch welches zu hoffen habe. Sein Fruͤhstuͤck und Abendbrodt, was er hier genoß, war er nicht im Stande zu bezahlen, und man ließ ihm deutlich merken, daß man nicht laͤnger Willens sey, ihm zu borgen; da man also keinen Nutzen von ihm ziehen konnte, und er uͤberdem ein trauriger Gesellschafter war, so war es natuͤrlich, daß man seiner loß zu seyn wuͤnschte, und ihm die Wohnung aufkuͤndigte. So wenig auffallend dieß nun an sich war, so tragisch nahm es R... <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0113" n="113"/><lb/> <p>Dies war denn auch der Fall bei R...; er gieng schon mit einem Gedichte uͤber die <hi rendition="#b">Schoͤpfung</hi> schwanger, wo der Stoff nun freilich der allerentfernteste war, den die Einbildungskraft sich denken konnte, und wo er statt des Detail, vor dem er sich scheute, lauter große Massen vor sich fand, deren Darstellung man denn fuͤr die eigentlich erhabene Poesie haͤlt; und wozu die unberufenen jungen Dichter immer weit mehr Lust haben, als zu dem, was dem Menschen nahe liegt; denn in dies letztere muß freilich ihr Genie die Erhabenheit erst herein tragen, welche sie in jenem schon vor sich zu finden glauben. </p> <p>R...s aͤußere Lage wurde hiebei mit jedem Tage druͤckender, weil die gehofte Unterstuͤtzung aus H... nicht erfolgte, und seine Hausleute ihn immer mehr mit schielen Blicken ansahen, je mehr sie inne wurden, daß er weder Geld besitze, noch welches zu hoffen habe. </p> <p>Sein Fruͤhstuͤck und Abendbrodt, was er hier genoß, war er nicht im Stande zu bezahlen, und man ließ ihm deutlich merken, daß man nicht laͤnger Willens sey, ihm zu borgen; da man also keinen Nutzen von ihm ziehen konnte, und er uͤberdem ein trauriger Gesellschafter war, so war es natuͤrlich, daß man seiner loß zu seyn wuͤnschte, und ihm die Wohnung aufkuͤndigte. </p> <p>So wenig auffallend dieß nun an sich war, so tragisch nahm es R... </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [113/0113]
Dies war denn auch der Fall bei R...; er gieng schon mit einem Gedichte uͤber die Schoͤpfung schwanger, wo der Stoff nun freilich der allerentfernteste war, den die Einbildungskraft sich denken konnte, und wo er statt des Detail, vor dem er sich scheute, lauter große Massen vor sich fand, deren Darstellung man denn fuͤr die eigentlich erhabene Poesie haͤlt; und wozu die unberufenen jungen Dichter immer weit mehr Lust haben, als zu dem, was dem Menschen nahe liegt; denn in dies letztere muß freilich ihr Genie die Erhabenheit erst herein tragen, welche sie in jenem schon vor sich zu finden glauben.
R...s aͤußere Lage wurde hiebei mit jedem Tage druͤckender, weil die gehofte Unterstuͤtzung aus H... nicht erfolgte, und seine Hausleute ihn immer mehr mit schielen Blicken ansahen, je mehr sie inne wurden, daß er weder Geld besitze, noch welches zu hoffen habe.
Sein Fruͤhstuͤck und Abendbrodt, was er hier genoß, war er nicht im Stande zu bezahlen, und man ließ ihm deutlich merken, daß man nicht laͤnger Willens sey, ihm zu borgen; da man also keinen Nutzen von ihm ziehen konnte, und er uͤberdem ein trauriger Gesellschafter war, so war es natuͤrlich, daß man seiner loß zu seyn wuͤnschte, und ihm die Wohnung aufkuͤndigte.
So wenig auffallend dieß nun an sich war, so tragisch nahm es R...
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/113>, abgerufen am 16.02.2025. |