Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.Nach freundschaftlichen Vorwürfen, daß R... nicht mehr Zutrauen zu ihm gehabt, brachte er ihn wieder nach seiner alten Wohnung, suchte ihn dort den Leuten in einem andern Lichte darzustellen, und tilgte die geringe Schuld seines Freundes. Diese aufrichtige Theilnehmung seines Freundes, stärkte bei R... wieder das erkrankte Selbstgefühl, er war gewissermaßen stolz auf seinen Freund, und ehrte sich in ihm. Nun bedung er sich aus, um allein seyn zu können, einen Verschlag auf dem Boden des Hauses zu beziehen, wohin man ihm auch ein Bette gab, und wo er nun wieder, ganz sich selbst gelassen, ein paar nicht unangenehme Wochen zubrachte. Er laß und studirte hier oben, und würde in dieser Abgezogenheit völlig glücklich gewesen seyn, wenn ihn sein Gedicht über die Schöpfung nicht gequält hätte, welches machte, daß er oft wieder in eine Art von Verzweiflung gerieth, wenn er Dinge ausdrücken wollte, die er zu fühlen glaubte, und die ihm doch über allen Ausdruck waren. Was ihm die meiste Qual machte, war die Beschreibung des Chaos, welche beinahe den ganzen ersten Gesang seines Gedichts einnahm, und worauf er mit seiner kranken Einbildungskraft am liebsten verweilen mochte, aber immer für seine ungeheuren und grotesken Vorstellungen keine Ausdrücke finden konnte. Nach freundschaftlichen Vorwuͤrfen, daß R... nicht mehr Zutrauen zu ihm gehabt, brachte er ihn wieder nach seiner alten Wohnung, suchte ihn dort den Leuten in einem andern Lichte darzustellen, und tilgte die geringe Schuld seines Freundes. Diese aufrichtige Theilnehmung seines Freundes, staͤrkte bei R... wieder das erkrankte Selbstgefuͤhl, er war gewissermaßen stolz auf seinen Freund, und ehrte sich in ihm. Nun bedung er sich aus, um allein seyn zu koͤnnen, einen Verschlag auf dem Boden des Hauses zu beziehen, wohin man ihm auch ein Bette gab, und wo er nun wieder, ganz sich selbst gelassen, ein paar nicht unangenehme Wochen zubrachte. Er laß und studirte hier oben, und wuͤrde in dieser Abgezogenheit voͤllig gluͤcklich gewesen seyn, wenn ihn sein Gedicht uͤber die Schoͤpfung nicht gequaͤlt haͤtte, welches machte, daß er oft wieder in eine Art von Verzweiflung gerieth, wenn er Dinge ausdruͤcken wollte, die er zu fuͤhlen glaubte, und die ihm doch uͤber allen Ausdruck waren. Was ihm die meiste Qual machte, war die Beschreibung des Chaos, welche beinahe den ganzen ersten Gesang seines Gedichts einnahm, und worauf er mit seiner kranken Einbildungskraft am liebsten verweilen mochte, aber immer fuͤr seine ungeheuren und grotesken Vorstellungen keine Ausdruͤcke finden konnte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0118" n="118"/><lb/> <p>Nach freundschaftlichen Vorwuͤrfen, daß R... nicht mehr Zutrauen zu ihm gehabt, brachte er ihn wieder nach seiner alten Wohnung, suchte ihn dort den Leuten in einem andern Lichte darzustellen, und tilgte die geringe Schuld seines Freundes. </p> <p>Diese aufrichtige Theilnehmung seines Freundes, staͤrkte bei R... wieder das erkrankte Selbstgefuͤhl, er war gewissermaßen stolz auf seinen Freund, und ehrte sich in ihm. </p> <p>Nun bedung er sich aus, um allein seyn zu koͤnnen, einen Verschlag auf dem Boden des Hauses zu beziehen, wohin man ihm auch ein Bette gab, und wo er nun wieder, ganz sich selbst gelassen, ein paar nicht unangenehme Wochen zubrachte. </p> <p>Er laß und studirte hier oben, und wuͤrde in dieser Abgezogenheit voͤllig gluͤcklich gewesen seyn, wenn ihn sein Gedicht uͤber die Schoͤpfung nicht gequaͤlt haͤtte, welches machte, daß er oft wieder in eine Art von Verzweiflung gerieth, wenn er Dinge ausdruͤcken wollte, die er zu fuͤhlen glaubte, und die ihm doch uͤber allen Ausdruck waren. </p> <p>Was ihm die meiste Qual machte, war die Beschreibung des Chaos, welche beinahe den ganzen ersten Gesang seines Gedichts einnahm, und worauf er mit seiner kranken Einbildungskraft am liebsten verweilen mochte, aber immer fuͤr seine ungeheuren und grotesken Vorstellungen keine Ausdruͤcke finden konnte. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [118/0118]
Nach freundschaftlichen Vorwuͤrfen, daß R... nicht mehr Zutrauen zu ihm gehabt, brachte er ihn wieder nach seiner alten Wohnung, suchte ihn dort den Leuten in einem andern Lichte darzustellen, und tilgte die geringe Schuld seines Freundes.
Diese aufrichtige Theilnehmung seines Freundes, staͤrkte bei R... wieder das erkrankte Selbstgefuͤhl, er war gewissermaßen stolz auf seinen Freund, und ehrte sich in ihm.
Nun bedung er sich aus, um allein seyn zu koͤnnen, einen Verschlag auf dem Boden des Hauses zu beziehen, wohin man ihm auch ein Bette gab, und wo er nun wieder, ganz sich selbst gelassen, ein paar nicht unangenehme Wochen zubrachte.
Er laß und studirte hier oben, und wuͤrde in dieser Abgezogenheit voͤllig gluͤcklich gewesen seyn, wenn ihn sein Gedicht uͤber die Schoͤpfung nicht gequaͤlt haͤtte, welches machte, daß er oft wieder in eine Art von Verzweiflung gerieth, wenn er Dinge ausdruͤcken wollte, die er zu fuͤhlen glaubte, und die ihm doch uͤber allen Ausdruck waren.
Was ihm die meiste Qual machte, war die Beschreibung des Chaos, welche beinahe den ganzen ersten Gesang seines Gedichts einnahm, und worauf er mit seiner kranken Einbildungskraft am liebsten verweilen mochte, aber immer fuͤr seine ungeheuren und grotesken Vorstellungen keine Ausdruͤcke finden konnte.
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