Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.
Dabei war es ihm eine schmeichelhafte Jdee, daß er, als ein Jüngling, sich einen so ernsten Gegenstand zu besingen wählte; daher hub er denn auch sein Gedicht an: Ein Jüngling, der schon früh den Kelch der Leiden trank, u.s.w. Als er nun aber zum Werke schritt, und den ersten Gesang seines Gedichts, wovon er den Titel schon recht schön hingeschrieben hatte, wirklich bearbeiten wollte, fand er sich in seiner Hofnung, einen Reichthum von fürchterlichen Bildern vor sich zu finden, auf das Bitterste getäuscht. Die Flügel sanken ihm, und er fühlte seine Seele wie gelähmt, da er nichts, als eine weite Leere, eine schwarze Oede vor sich erblickte, wo sich nun nicht einmal das vergeblich aufarbeitende Leben, wie bei der Schilderung des Chaos anbringen ließ, sondern eine ewige Nacht alle Gestalten verdeckte, und ein ewiger Schlaf alle Bewegungen fesselte. Er strengte mit einer Art von Wuth seine Einbildungskraft an, in diese Dunkelheit Bilder hineinzutragen, allein sie schwärzten sich, wie auf Herkules Haupte die grünen Blätter seines Pappelkranzes, da er sich, um den Cerberus zu fangen, dem Hause des Pluto nahte. Alles was er niederschreiben wollte, lößte sich in Rauch und Nebel auf, und das weiße Papier blieb unbeschrieben.
Dabei war es ihm eine schmeichelhafte Jdee, daß er, als ein Juͤngling, sich einen so ernsten Gegenstand zu besingen waͤhlte; daher hub er denn auch sein Gedicht an: Ein Juͤngling, der schon fruͤh den Kelch der Leiden trank, u.s.w. Als er nun aber zum Werke schritt, und den ersten Gesang seines Gedichts, wovon er den Titel schon recht schoͤn hingeschrieben hatte, wirklich bearbeiten wollte, fand er sich in seiner Hofnung, einen Reichthum von fuͤrchterlichen Bildern vor sich zu finden, auf das Bitterste getaͤuscht. Die Fluͤgel sanken ihm, und er fuͤhlte seine Seele wie gelaͤhmt, da er nichts, als eine weite Leere, eine schwarze Oede vor sich erblickte, wo sich nun nicht einmal das vergeblich aufarbeitende Leben, wie bei der Schilderung des Chaos anbringen ließ, sondern eine ewige Nacht alle Gestalten verdeckte, und ein ewiger Schlaf alle Bewegungen fesselte. Er strengte mit einer Art von Wuth seine Einbildungskraft an, in diese Dunkelheit Bilder hineinzutragen, allein sie schwaͤrzten sich, wie auf Herkules Haupte die gruͤnen Blaͤtter seines Pappelkranzes, da er sich, um den Cerberus zu fangen, dem Hause des Pluto nahte. Alles was er niederschreiben wollte, loͤßte sich in Rauch und Nebel auf, und das weiße Papier blieb unbeschrieben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0123" n="123"/><lb/> Gesaͤngen bearbeiten wollte; was konnte dies wohl anders seyn, als der <hi rendition="#b">Tod</hi> selber! </p> <p>Dabei war es ihm eine schmeichelhafte Jdee, daß er, als ein Juͤngling, sich einen so ernsten Gegenstand zu besingen waͤhlte; daher hub er denn auch sein Gedicht an: </p> <lg> <l>Ein Juͤngling, der schon fruͤh den Kelch</l><lb/> <l>der Leiden trank, u.s.w.</l> </lg> <p>Als er nun aber zum Werke schritt, und den ersten Gesang seines Gedichts, <hi rendition="#b">wovon er den Titel schon recht schoͤn hingeschrieben hatte,</hi> wirklich bearbeiten wollte, fand er sich in seiner Hofnung, einen Reichthum von fuͤrchterlichen Bildern vor sich zu finden, auf das Bitterste getaͤuscht. </p> <p>Die Fluͤgel sanken ihm, und er fuͤhlte seine Seele wie gelaͤhmt, da er nichts, als eine weite Leere, eine schwarze Oede vor sich erblickte, wo sich nun nicht einmal das vergeblich aufarbeitende Leben, wie bei der Schilderung des Chaos anbringen ließ, sondern eine ewige Nacht alle Gestalten verdeckte, und ein ewiger Schlaf alle Bewegungen fesselte. </p> <p>Er strengte mit einer Art von Wuth seine Einbildungskraft an, in diese Dunkelheit Bilder hineinzutragen, allein sie schwaͤrzten sich, wie auf Herkules Haupte die gruͤnen Blaͤtter seines Pappelkranzes, da er sich, um den Cerberus zu fangen, dem Hause des Pluto nahte. Alles was er niederschreiben wollte, loͤßte sich in Rauch und Nebel auf, und das weiße Papier blieb unbeschrieben. </p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [123/0123]
Gesaͤngen bearbeiten wollte; was konnte dies wohl anders seyn, als der Tod selber!
Dabei war es ihm eine schmeichelhafte Jdee, daß er, als ein Juͤngling, sich einen so ernsten Gegenstand zu besingen waͤhlte; daher hub er denn auch sein Gedicht an:
Ein Juͤngling, der schon fruͤh den Kelch
der Leiden trank, u.s.w.
Als er nun aber zum Werke schritt, und den ersten Gesang seines Gedichts, wovon er den Titel schon recht schoͤn hingeschrieben hatte, wirklich bearbeiten wollte, fand er sich in seiner Hofnung, einen Reichthum von fuͤrchterlichen Bildern vor sich zu finden, auf das Bitterste getaͤuscht.
Die Fluͤgel sanken ihm, und er fuͤhlte seine Seele wie gelaͤhmt, da er nichts, als eine weite Leere, eine schwarze Oede vor sich erblickte, wo sich nun nicht einmal das vergeblich aufarbeitende Leben, wie bei der Schilderung des Chaos anbringen ließ, sondern eine ewige Nacht alle Gestalten verdeckte, und ein ewiger Schlaf alle Bewegungen fesselte.
Er strengte mit einer Art von Wuth seine Einbildungskraft an, in diese Dunkelheit Bilder hineinzutragen, allein sie schwaͤrzten sich, wie auf Herkules Haupte die gruͤnen Blaͤtter seines Pappelkranzes, da er sich, um den Cerberus zu fangen, dem Hause des Pluto nahte. Alles was er niederschreiben wollte, loͤßte sich in Rauch und Nebel auf, und das weiße Papier blieb unbeschrieben.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/123>, abgerufen am 16.02.2025. |