Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.6) Die Vorstellungen der Objecte gehen der Sprache, und diese der Schrift voraus. Dieses ist ein Erfahrungssatz, den jeder zugeben wird. Ein Kind hat lange vorher Vorstellungen, ehe es sie durch Worte ausdrücken lernt. Und die Schrift bestehet aus willkürlichen Zeichen der Töne, so wie die Sprache aus willkürlichen Zeichen der Vorstellungen. Das Bezeichnetwerdende muß aber dem Zeichen vorhergehen. 7) Aus 4. und 6. läßt sich erklären, warum ein Kind,, das eine Sache benennt, zugleich eine Vorstellung davon hat; wenn es z.B. sagt: ich will Zucker, so wird es sich gewiß mit nichts anderm abspeisen lassen. Es kann aber umgekehrt eine Vorstellung von einer Sache haben, ohne sie benennen zu können; wobei es sich eines allgemeinen Ausdrucks zu bedienen pflegt (weil dieser ihm öfter als der besondere Ausdruck vorgekommen ist), z.B. das Ding, etwas u.dgl. weil, obgleich die Vorstellungen mit ihren Nahmen in seiner Seele sind associirt worden, sie doch nicht in gleichem Grade associirt sind; indem die Vorstellung schon vor dieser Association, ihr Nahme hingegen erst durch dieselbe entstanden ist. 8) Das was an sich schwer zu bewerkstelligen ist, wird durch die Association erleichtert, man bekömmt die Fertigkeit in einer Kunst durch Uebung, d.h. durch öftere Wiederholung eben derselben Handlung. Wenn wir aber die Sache genauer betrach- 6) Die Vorstellungen der Objecte gehen der Sprache, und diese der Schrift voraus. Dieses ist ein Erfahrungssatz, den jeder zugeben wird. Ein Kind hat lange vorher Vorstellungen, ehe es sie durch Worte ausdruͤcken lernt. Und die Schrift bestehet aus willkuͤrlichen Zeichen der Toͤne, so wie die Sprache aus willkuͤrlichen Zeichen der Vorstellungen. Das Bezeichnetwerdende muß aber dem Zeichen vorhergehen. 7) Aus 4. und 6. laͤßt sich erklaͤren, warum ein Kind,, das eine Sache benennt, zugleich eine Vorstellung davon hat; wenn es z.B. sagt: ich will Zucker, so wird es sich gewiß mit nichts anderm abspeisen lassen. Es kann aber umgekehrt eine Vorstellung von einer Sache haben, ohne sie benennen zu koͤnnen; wobei es sich eines allgemeinen Ausdrucks zu bedienen pflegt (weil dieser ihm oͤfter als der besondere Ausdruck vorgekommen ist), z.B. das Ding, etwas u.dgl. weil, obgleich die Vorstellungen mit ihren Nahmen in seiner Seele sind associirt worden, sie doch nicht in gleichem Grade associirt sind; indem die Vorstellung schon vor dieser Association, ihr Nahme hingegen erst durch dieselbe entstanden ist. 8) Das was an sich schwer zu bewerkstelligen ist, wird durch die Association erleichtert, man bekoͤmmt die Fertigkeit in einer Kunst durch Uebung, d.h. durch oͤftere Wiederholung eben derselben Handlung. Wenn wir aber die Sache genauer betrach- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <list> <pb facs="#f0014" n="14"/><lb/> <item>6) Die Vorstellungen der Objecte gehen der Sprache, und diese der Schrift voraus. Dieses ist ein Erfahrungssatz, den jeder zugeben wird. Ein Kind hat lange vorher Vorstellungen, ehe es sie durch Worte ausdruͤcken lernt. Und die Schrift bestehet aus willkuͤrlichen Zeichen der Toͤne, so wie die Sprache aus willkuͤrlichen Zeichen der Vorstellungen. Das Bezeichnetwerdende muß aber dem Zeichen vorhergehen. </item> <item>7) Aus 4. und 6. laͤßt sich erklaͤren, warum ein <choice><corr>Kind,</corr><sic>Kind-</sic></choice>, das eine Sache benennt, zugleich eine Vorstellung davon hat; wenn es z.B. sagt: ich will Zucker, so wird es sich gewiß mit nichts anderm abspeisen lassen. Es kann aber umgekehrt eine Vorstellung von einer Sache haben, ohne sie benennen zu koͤnnen; wobei es sich eines allgemeinen Ausdrucks zu bedienen pflegt (weil dieser ihm oͤfter als der besondere Ausdruck vorgekommen ist), z.B. <hi rendition="#b">das Ding</hi>, <hi rendition="#aq">etwas</hi> u.dgl. weil, obgleich die Vorstellungen mit ihren Nahmen in seiner Seele sind associirt worden, sie doch nicht <hi rendition="#b">in gleichem Grade</hi> associirt sind; indem die Vorstellung schon <hi rendition="#b">vor</hi> dieser Association, ihr Nahme hingegen erst <hi rendition="#b">durch</hi> dieselbe entstanden ist. </item> <item>8) Das was an sich schwer zu bewerkstelligen ist, wird durch die Association erleichtert, man bekoͤmmt die Fertigkeit in einer Kunst durch <hi rendition="#b">Uebung,</hi> d.h. durch oͤftere Wiederholung eben derselben Handlung. Wenn wir aber die Sache genauer betrach-<lb/></item> </list> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [14/0014]
6) Die Vorstellungen der Objecte gehen der Sprache, und diese der Schrift voraus. Dieses ist ein Erfahrungssatz, den jeder zugeben wird. Ein Kind hat lange vorher Vorstellungen, ehe es sie durch Worte ausdruͤcken lernt. Und die Schrift bestehet aus willkuͤrlichen Zeichen der Toͤne, so wie die Sprache aus willkuͤrlichen Zeichen der Vorstellungen. Das Bezeichnetwerdende muß aber dem Zeichen vorhergehen.
7) Aus 4. und 6. laͤßt sich erklaͤren, warum ein Kind,, das eine Sache benennt, zugleich eine Vorstellung davon hat; wenn es z.B. sagt: ich will Zucker, so wird es sich gewiß mit nichts anderm abspeisen lassen. Es kann aber umgekehrt eine Vorstellung von einer Sache haben, ohne sie benennen zu koͤnnen; wobei es sich eines allgemeinen Ausdrucks zu bedienen pflegt (weil dieser ihm oͤfter als der besondere Ausdruck vorgekommen ist), z.B. das Ding, etwas u.dgl. weil, obgleich die Vorstellungen mit ihren Nahmen in seiner Seele sind associirt worden, sie doch nicht in gleichem Grade associirt sind; indem die Vorstellung schon vor dieser Association, ihr Nahme hingegen erst durch dieselbe entstanden ist.
8) Das was an sich schwer zu bewerkstelligen ist, wird durch die Association erleichtert, man bekoͤmmt die Fertigkeit in einer Kunst durch Uebung, d.h. durch oͤftere Wiederholung eben derselben Handlung. Wenn wir aber die Sache genauer betrach-
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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