Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite


physische Behandlung gebessert werden. -- Bei weitem von diesen unterscheiden sich die Narren der andern Art. Jhre Krankheit ist, wenn wir nehmlich zwischen beiden eine ganz scharfe Grenzlinie ziehen (und das müssen wir, wenn wir sie vorläufig, genau unterscheiden wollen), ihre Krankheit sage ich ist blos Seelenkrankheit. Es sind diejenigen Menschen, die in allem richtig denken und handeln, bis auf irgend einen gewissen Punkt, da stimmen sie mit andern Menschen nicht überein, da schwindet bei ihnen logische Wahrheit, da scheinen sie der gesunden Vernunft entsagt zu haben. Zu dieser Klasse gehören wir Menschen alle, so auffallend, so widersprechend das auch klingen mag; wer sollte wohl nicht in irgend einer Sache seine ganz besondern, selbst mit seinen eignen, sogar nach ausführlich deutlichen Begriffen abgeleiteten Grundsätzen, streitende Meinungen haben? -- Das Sprichwort: jeder hat sein Gran Narrheit, ist unleugbar ein wahrer Satz, und jeder wird ihn bestätigt finden, der nur Lust hat, seine Wahrnehmungen zu Beobachtungen zu erhöhen, und vom Auffallendern und Deutlichern aufs Verstecktere und weniger Bemerkte zu schließen, und hier im Stillen ruhig zu forschen. Wüßte man diesem Satze den Gehalt eines Grundsatzes zu geben, das heißt entwickelte man diejenigen Folgerungen aus ihm, die nothwendig in ihm liegen; wahrhaftig wir lebten um einen Theil glücklicher, würden sanfter gegen


physische Behandlung gebessert werden. — Bei weitem von diesen unterscheiden sich die Narren der andern Art. Jhre Krankheit ist, wenn wir nehmlich zwischen beiden eine ganz scharfe Grenzlinie ziehen (und das muͤssen wir, wenn wir sie vorlaͤufig, genau unterscheiden wollen), ihre Krankheit sage ich ist blos Seelenkrankheit. Es sind diejenigen Menschen, die in allem richtig denken und handeln, bis auf irgend einen gewissen Punkt, da stimmen sie mit andern Menschen nicht uͤberein, da schwindet bei ihnen logische Wahrheit, da scheinen sie der gesunden Vernunft entsagt zu haben. Zu dieser Klasse gehoͤren wir Menschen alle, so auffallend, so widersprechend das auch klingen mag; wer sollte wohl nicht in irgend einer Sache seine ganz besondern, selbst mit seinen eignen, sogar nach ausfuͤhrlich deutlichen Begriffen abgeleiteten Grundsaͤtzen, streitende Meinungen haben? — Das Sprichwort: jeder hat sein Gran Narrheit, ist unleugbar ein wahrer Satz, und jeder wird ihn bestaͤtigt finden, der nur Lust hat, seine Wahrnehmungen zu Beobachtungen zu erhoͤhen, und vom Auffallendern und Deutlichern aufs Verstecktere und weniger Bemerkte zu schließen, und hier im Stillen ruhig zu forschen. Wuͤßte man diesem Satze den Gehalt eines Grundsatzes zu geben, das heißt entwickelte man diejenigen Folgerungen aus ihm, die nothwendig in ihm liegen; wahrhaftig wir lebten um einen Theil gluͤcklicher, wuͤrden sanfter gegen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0114" n="112"/><lb/>
physische Behandlung gebessert werden. &#x2014; Bei weitem von diesen                         unterscheiden sich die Narren der andern Art. Jhre Krankheit ist, wenn wir                         nehmlich zwischen beiden eine ganz scharfe Grenzlinie ziehen (und das mu&#x0364;ssen                         wir, wenn wir sie vorla&#x0364;ufig, genau unterscheiden wollen), ihre Krankheit                         sage ich ist blos Seelenkrankheit. Es sind diejenigen Menschen, die in allem                         richtig denken und handeln, bis auf irgend einen gewissen Punkt, da stimmen                         sie mit andern Menschen nicht u&#x0364;berein, da schwindet bei ihnen logische                         Wahrheit, da scheinen sie der gesunden Vernunft entsagt zu haben. Zu dieser                         Klasse geho&#x0364;ren wir Menschen alle, so auffallend, so widersprechend das auch                         klingen mag; wer sollte wohl nicht in irgend einer Sache seine ganz                         besondern, selbst mit seinen eignen, sogar nach ausfu&#x0364;hrlich deutlichen                         Begriffen abgeleiteten Grundsa&#x0364;tzen, streitende Meinungen haben? &#x2014; Das                         Sprichwort: jeder hat sein Gran Narrheit, ist unleugbar ein wahrer Satz, und                         jeder wird ihn besta&#x0364;tigt finden, der nur Lust hat, seine Wahrnehmungen zu                         Beobachtungen zu erho&#x0364;hen, und vom Auffallendern und Deutlichern aufs                         Verstecktere und weniger Bemerkte zu schließen, und hier im Stillen ruhig zu                         forschen. Wu&#x0364;ßte man diesem Satze den Gehalt eines Grundsatzes zu geben, das                         heißt entwickelte man diejenigen Folgerungen aus ihm, die nothwendig in ihm                         liegen; wahrhaftig wir lebten um einen Theil glu&#x0364;cklicher, wu&#x0364;rden sanfter                         gegen<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0114] physische Behandlung gebessert werden. — Bei weitem von diesen unterscheiden sich die Narren der andern Art. Jhre Krankheit ist, wenn wir nehmlich zwischen beiden eine ganz scharfe Grenzlinie ziehen (und das muͤssen wir, wenn wir sie vorlaͤufig, genau unterscheiden wollen), ihre Krankheit sage ich ist blos Seelenkrankheit. Es sind diejenigen Menschen, die in allem richtig denken und handeln, bis auf irgend einen gewissen Punkt, da stimmen sie mit andern Menschen nicht uͤberein, da schwindet bei ihnen logische Wahrheit, da scheinen sie der gesunden Vernunft entsagt zu haben. Zu dieser Klasse gehoͤren wir Menschen alle, so auffallend, so widersprechend das auch klingen mag; wer sollte wohl nicht in irgend einer Sache seine ganz besondern, selbst mit seinen eignen, sogar nach ausfuͤhrlich deutlichen Begriffen abgeleiteten Grundsaͤtzen, streitende Meinungen haben? — Das Sprichwort: jeder hat sein Gran Narrheit, ist unleugbar ein wahrer Satz, und jeder wird ihn bestaͤtigt finden, der nur Lust hat, seine Wahrnehmungen zu Beobachtungen zu erhoͤhen, und vom Auffallendern und Deutlichern aufs Verstecktere und weniger Bemerkte zu schließen, und hier im Stillen ruhig zu forschen. Wuͤßte man diesem Satze den Gehalt eines Grundsatzes zu geben, das heißt entwickelte man diejenigen Folgerungen aus ihm, die nothwendig in ihm liegen; wahrhaftig wir lebten um einen Theil gluͤcklicher, wuͤrden sanfter gegen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/114
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/114>, abgerufen am 21.11.2024.