Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.
Salomon Maimon. *) Der Verfasser unterscheidet zwei Hauptgattungen von Narren. Die eine ist die Gattung derjenigen Narren, die alle Dinge von einer verkehrten Seite ansehn, die andere besteht aus denjenigen welche ihre Narrheit nur in einem gewissen Falle äußern. Jch glaube aber, daß man schwerlich Narren von der ersten Gattung finden wird, d.h. solche, die, wie der Verfasser sich ausdrückt, alle Dinge von einer verkehrten Seite ansehn, oder von allen Dingen falsche Vorstellungen haben. Es kann allerdings Narren von der zweiten Gattung geben, d.h. solche, die nur eine einzige falsche Vorstellung haben, die aber dennoch aus diesem Grunde alle Dinge verkehrt ansehn; wenn nehmlich diese einzige falsche Vorstellung etwas betrift, das mit allen Dingen im Verhältniß steht. Die Korrelata (alle andere Dinge) können also immer in der Vorstellung unverändert bleiben, so wird doch dadurch ihr Verhältniß zu dem Dinge wovon man eine falsche Vorstellung hat, nothwendig verändert. Wie wenn z.B. jemand sich einbildet von Glas gemacht zu seyn; so hat er blos von einem einzigen Dinge eine falsche Vorstellung, nehmlich von seinem Körper, und dennoch fürchtet er nicht nur, eine schwere Last zu tragen, als wodurch er nach seiner Einbildung zerbrochen werden könnte, sondern auch, sich auf den Tisch zu lehnen, auf dem Stuhle zu sitzen, auf dem Bette zu liegen, auf den Erdboden zu treten u.s.w. weil alle diese Dinge zum Glase eben dasselbe Verhältniß haben. So wie ohngefähr bei dem Gelbsüchtigen die Veränderung der Beschaffenheit der Augensäfte, die Veränderung der Farbe aller Dinge nach sich zieht. So sehe ich auch nicht ein, warum der V. die Ursache der ersten Gattung im Körper, der zweiten aber in der Seele zu liegen glaubt? dieses wird von ihm ganz willkürlich angenommen, ohne bewiesen zu werden. Ferner sagt der V. "Der Witz ist u.s.w. -- ungezwungen wird man alle Seelenkräfte auf ihn zurückbringen können." Hier kömmt es darauf an, zu wissen, was doch der V. unter Witz verstehn mag. Versteht er darunter, nach der gewöhnlichen Erklärung, das Vermögen, die Aehnlichkeit der Dinge wahrzunehmen, so kann er nicht behaupten, daß der Witz das einzige Seelenvermögen sey, worauf alle übrigen sich reduziren lassen. Association ist freilich zu allen Seelenoperationen nothwendig. Aber die Association beruht nicht einzig und allein auf Aehnlichkeit, sondern kann auch auf Koexistenz, und Dependenz (von Grund und Folge) beruhen. Wir können daher allerdings gehabte, nunmehr schlummernde Jdeen auch ohne irgend eine Aehnlichkeit mit den gegenwärtigen blos wegen ihrer Koexistenz mit denselben reproduziren. Folglich hängt das Gedächtniß nicht nothwendig vom Witze ab. Versteht er aber unter Witz das Associationsvermögen im Allgemeinen, so ist diese Bedeutung offenbar wider den Sprachgebrauch. Was er ferner in Ansehung des Scharfsinns sagt, so kömmt es hier auf den Begriff der Verschiedenheit an; ist nehmlich Verschiedenheit nichts anders als Theilentgegensetzung, so muß allerdings die Aehnlichkeit der Verschiedenheit vorhergegangen seyn; weil die Entgegensetzung in eben demselben Subjekte gedacht werden muß; folglich müssen die Dinge die als voneinander verschieden gedacht werden sollen, in Ansehung des Subjekts, das in beiden einerlei ist, ähnlich seyn. Jst aber bei ihm Verschiedenheit eine besondere Form, so kann man auch ohne Wahrnehmung der Aehnlichkeit die Dinge als verschieden denken. Der Begriff von der Tugend z.B. ist von dem Begriffe eines Dreiecks, ohne demselben in irgend etwas ähnlich zu seyn, verschieden. Was er ferner in Ansehung des Unterschiedes zwischen Jdeen und Gedanken sagt, daß nehmlich jene einander erzeugen, folglich immer in einer ununterbrochnen Reihe fortgehen, diese aber nicht, ist mehr spitzfündig als reel. Wenn blos die Vorstellung des Mehr zur Vergesellschaftung verschiedener Jdeen hinreichend ist, so sind alle Jdeen ohne Unterschied gesellschaftliche Jdeen. -- Das Gesetz der Association ist aber blos ein Gesetz der Einbildungskraft. Diese hängt aber allerdings von der Empfindung ab, nicht aber umgekehrt. Man muß daher diesem Gesetze zu Folge von der, die gegenwärtige Empfindung begleitenden Jdee auf eine mit derselben associirte vergangne gerathen; es ist aber nicht nothwendig, daß man auch umgekehrt von einer vergangenen Jdee in der Einbildungskraft auf eine mit ihr gesellschaftliche Empfindung gerathe. Die Verbindung die Leibnitz hier annimmt hat ganz einen andern Sinn. --
Salomon Maimon. *) Der Verfasser unterscheidet zwei Hauptgattungen von Narren. Die eine ist die Gattung derjenigen Narren, die alle Dinge von einer verkehrten Seite ansehn, die andere besteht aus denjenigen welche ihre Narrheit nur in einem gewissen Falle aͤußern. Jch glaube aber, daß man schwerlich Narren von der ersten Gattung finden wird, d.h. solche, die, wie der Verfasser sich ausdruͤckt, alle Dinge von einer verkehrten Seite ansehn, oder von allen Dingen falsche Vorstellungen haben. Es kann allerdings Narren von der zweiten Gattung geben, d.h. solche, die nur eine einzige falsche Vorstellung haben, die aber dennoch aus diesem Grunde alle Dinge verkehrt ansehn; wenn nehmlich diese einzige falsche Vorstellung etwas betrift, das mit allen Dingen im Verhaͤltniß steht. Die Korrelata (alle andere Dinge) koͤnnen also immer in der Vorstellung unveraͤndert bleiben, so wird doch dadurch ihr Verhaͤltniß zu dem Dinge wovon man eine falsche Vorstellung hat, nothwendig veraͤndert. Wie wenn z.B. jemand sich einbildet von Glas gemacht zu seyn; so hat er blos von einem einzigen Dinge eine falsche Vorstellung, nehmlich von seinem Koͤrper, und dennoch fuͤrchtet er nicht nur, eine schwere Last zu tragen, als wodurch er nach seiner Einbildung zerbrochen werden koͤnnte, sondern auch, sich auf den Tisch zu lehnen, auf dem Stuhle zu sitzen, auf dem Bette zu liegen, auf den Erdboden zu treten u.s.w. weil alle diese Dinge zum Glase eben dasselbe Verhaͤltniß haben. So wie ohngefaͤhr bei dem Gelbsuͤchtigen die Veraͤnderung der Beschaffenheit der Augensaͤfte, die Veraͤnderung der Farbe aller Dinge nach sich zieht. So sehe ich auch nicht ein, warum der V. die Ursache der ersten Gattung im Koͤrper, der zweiten aber in der Seele zu liegen glaubt? dieses wird von ihm ganz willkuͤrlich angenommen, ohne bewiesen zu werden. Ferner sagt der V. »Der Witz ist u.s.w. — ungezwungen wird man alle Seelenkraͤfte auf ihn zuruͤckbringen koͤnnen.« Hier koͤmmt es darauf an, zu wissen, was doch der V. unter Witz verstehn mag. Versteht er darunter, nach der gewoͤhnlichen Erklaͤrung, das Vermoͤgen, die Aehnlichkeit der Dinge wahrzunehmen, so kann er nicht behaupten, daß der Witz das einzige Seelenvermoͤgen sey, worauf alle uͤbrigen sich reduziren lassen. Association ist freilich zu allen Seelenoperationen nothwendig. Aber die Association beruht nicht einzig und allein auf Aehnlichkeit, sondern kann auch auf Koexistenz, und Dependenz (von Grund und Folge) beruhen. Wir koͤnnen daher allerdings gehabte, nunmehr schlummernde Jdeen auch ohne irgend eine Aehnlichkeit mit den gegenwaͤrtigen blos wegen ihrer Koexistenz mit denselben reproduziren. Folglich haͤngt das Gedaͤchtniß nicht nothwendig vom Witze ab. Versteht er aber unter Witz das Associationsvermoͤgen im Allgemeinen, so ist diese Bedeutung offenbar wider den Sprachgebrauch. Was er ferner in Ansehung des Scharfsinns sagt, so koͤmmt es hier auf den Begriff der Verschiedenheit an; ist nehmlich Verschiedenheit nichts anders als Theilentgegensetzung, so muß allerdings die Aehnlichkeit der Verschiedenheit vorhergegangen seyn; weil die Entgegensetzung in eben demselben Subjekte gedacht werden muß; folglich muͤssen die Dinge die als voneinander verschieden gedacht werden sollen, in Ansehung des Subjekts, das in beiden einerlei ist, aͤhnlich seyn. Jst aber bei ihm Verschiedenheit eine besondere Form, so kann man auch ohne Wahrnehmung der Aehnlichkeit die Dinge als verschieden denken. Der Begriff von der Tugend z.B. ist von dem Begriffe eines Dreiecks, ohne demselben in irgend etwas aͤhnlich zu seyn, verschieden. Was er ferner in Ansehung des Unterschiedes zwischen Jdeen und Gedanken sagt, daß nehmlich jene einander erzeugen, folglich immer in einer ununterbrochnen Reihe fortgehen, diese aber nicht, ist mehr spitzfuͤndig als reel. Wenn blos die Vorstellung des Mehr zur Vergesellschaftung verschiedener Jdeen hinreichend ist, so sind alle Jdeen ohne Unterschied gesellschaftliche Jdeen. — Das Gesetz der Association ist aber blos ein Gesetz der Einbildungskraft. Diese haͤngt aber allerdings von der Empfindung ab, nicht aber umgekehrt. Man muß daher diesem Gesetze zu Folge von der, die gegenwaͤrtige Empfindung begleitenden Jdee auf eine mit derselben associirte vergangne gerathen; es ist aber nicht nothwendig, daß man auch umgekehrt von einer vergangenen Jdee in der Einbildungskraft auf eine mit ihr gesellschaftliche Empfindung gerathe. Die Verbindung die Leibnitz hier annimmt hat ganz einen andern Sinn. —
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0122" n="120"/><lb/> diese Jdeen am haͤufigsten in ihm vorgekommen sind, entweder passive, da sie von andern wiederhohlt aufgeregt worden, oder aktive, da die Seele, weil sie sie gleich in der ersten Jugend gedacht, selbst, sie oft erneuert. Und, ist dieses nun die Ursache; so ist ja deutlich, daß jeder eine solche Lieblingsidee habe; denn jeder Mensch lebt ja in einem gewissen bestimmten Kreise; und hat auch seine besondre Erziehung genossen; Laßt uns also vom offenbar Naͤrrischen zu dem vernuͤnftigsten Menschen herabsteigen; werden wir einen andern Unterschied zwischen beiden als den Grad finden? und koͤnnen wir demnach nicht von dem Vernuͤnftigen zum Narren in unmerklicher Stufenfolge fortsteigen? und ist also der Satz, daß jeder sein Gran Narrheit habe, nicht wahr und allgemein?*)<note place="foot"><p>*) Der Verfasser unterscheidet <hi rendition="#b">zwei Hauptgattungen von Narren.</hi> Die eine ist die Gattung derjenigen Narren, die <hi rendition="#b">alle Dinge</hi> von einer verkehrten Seite ansehn, die andere besteht aus denjenigen welche ihre Narrheit nur <hi rendition="#b">in einem gewissen Falle</hi> aͤußern.</p><p>Jch glaube aber, daß man schwerlich Narren von der ersten Gattung finden wird, d.h. solche, die, wie der Verfasser sich ausdruͤckt, <hi rendition="#b">alle Dinge von einer verkehrten Seite ansehn,</hi> oder von allen Dingen falsche Vorstellungen haben. Es kann allerdings Narren von der zweiten Gattung geben, d.h. solche, die nur <hi rendition="#b">eine einzige</hi> falsche Vorstellung haben, die aber dennoch aus diesem Grunde <hi rendition="#b">alle Dinge verkehrt ansehn;</hi> wenn nehmlich diese einzige falsche Vorstellung etwas betrift, das mit allen Dingen im Verhaͤltniß steht. Die Korrelata (alle andere Dinge) koͤnnen also immer in der Vorstellung unveraͤndert bleiben, so wird doch dadurch ihr Verhaͤltniß zu dem Dinge wovon man eine falsche Vorstellung hat, nothwendig veraͤndert. Wie wenn z.B. jemand sich einbildet von Glas gemacht zu seyn; so hat er blos von einem einzigen Dinge eine falsche Vorstellung, nehmlich von seinem Koͤrper, und dennoch fuͤrchtet er nicht nur, eine schwere Last zu tragen, als wodurch er nach seiner Einbildung zerbrochen werden koͤnnte, sondern auch, sich auf den Tisch zu lehnen, auf dem Stuhle zu sitzen, auf dem Bette zu liegen, auf den Erdboden zu treten u.s.w. weil alle diese Dinge zum Glase eben dasselbe Verhaͤltniß haben. So wie ohngefaͤhr bei dem Gelbsuͤchtigen die Veraͤnderung der Beschaffenheit der Augensaͤfte, die Veraͤnderung der Farbe aller Dinge nach sich zieht.</p><p>So sehe ich auch nicht ein, warum der V. die Ursache der ersten Gattung im Koͤrper, der zweiten aber in der Seele zu liegen glaubt? dieses wird von ihm ganz willkuͤrlich angenommen, ohne bewiesen zu werden.</p><p>Ferner sagt der V. »Der Witz ist u.s.w. — ungezwungen wird man alle Seelenkraͤfte auf ihn zuruͤckbringen koͤnnen.« Hier koͤmmt es darauf an, zu wissen, was doch der V. unter Witz verstehn mag. Versteht er darunter, nach der gewoͤhnlichen Erklaͤrung, das Vermoͤgen, <hi rendition="#b">die Aehnlichkeit der Dinge wahrzunehmen,</hi> so kann er nicht behaupten, daß der Witz das einzige Seelenvermoͤgen sey, worauf alle uͤbrigen sich reduziren lassen. Association ist freilich zu allen Seelenoperationen nothwendig. Aber die Association beruht nicht einzig und allein auf <hi rendition="#b">Aehnlichkeit,</hi> sondern kann auch auf <hi rendition="#b">Koexistenz,</hi> und <hi rendition="#b">Dependenz</hi> (von Grund und Folge) beruhen. Wir koͤnnen daher allerdings <hi rendition="#b">gehabte, nunmehr schlummernde</hi> Jdeen auch ohne irgend eine Aehnlichkeit mit den gegenwaͤrtigen blos wegen ihrer Koexistenz mit denselben reproduziren. Folglich haͤngt das Gedaͤchtniß nicht nothwendig vom Witze ab.</p><p>Versteht er aber unter Witz das Associationsvermoͤgen im Allgemeinen, so ist diese Bedeutung offenbar wider den Sprachgebrauch. Was er ferner in Ansehung des Scharfsinns sagt, so koͤmmt es hier auf den Begriff der <hi rendition="#b">Verschiedenheit</hi> an; ist nehmlich Verschiedenheit nichts anders als <hi rendition="#b">Theilentgegensetzung,</hi> so muß allerdings die Aehnlichkeit der Verschiedenheit vorhergegangen seyn; weil die Entgegensetzung <hi rendition="#b">in eben demselben Subjekte</hi> gedacht werden muß; folglich muͤssen die Dinge die als voneinander verschieden gedacht werden sollen, in Ansehung des Subjekts, das in beiden einerlei ist, aͤhnlich seyn. Jst aber bei ihm Verschiedenheit <hi rendition="#b">eine besondere Form,</hi> so kann man auch ohne Wahrnehmung der Aehnlichkeit die Dinge als verschieden denken. Der Begriff von der Tugend z.B. ist von dem Begriffe eines Dreiecks, ohne demselben in irgend etwas aͤhnlich zu seyn, verschieden.</p><p>Was er ferner in Ansehung des Unterschiedes zwischen <hi rendition="#b">Jdeen</hi> und <hi rendition="#b">Gedanken</hi> sagt, daß nehmlich jene <hi rendition="#b">einander erzeugen,</hi> folglich immer in einer ununterbrochnen Reihe fortgehen, diese aber nicht, ist mehr spitzfuͤndig als reel. Wenn blos die Vorstellung des <hi rendition="#b">Mehr</hi> zur Vergesellschaftung verschiedener Jdeen hinreichend ist, so sind alle Jdeen ohne Unterschied gesellschaftliche Jdeen. — Das Gesetz der Association ist aber blos ein Gesetz der Einbildungskraft. Diese haͤngt aber allerdings von der Empfindung ab, nicht aber umgekehrt. Man muß daher diesem Gesetze zu Folge von der, die gegenwaͤrtige Empfindung begleitenden Jdee auf eine mit derselben associirte vergangne gerathen; es ist aber nicht nothwendig, daß man auch umgekehrt von einer vergangenen Jdee in der Einbildungskraft auf eine mit ihr gesellschaftliche Empfindung gerathe. Die Verbindung die Leibnitz hier annimmt hat ganz einen andern Sinn. —</p></note></p> <p rendition="#right"> <persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note> Salomon Maimon. </persName> </p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [120/0122]
diese Jdeen am haͤufigsten in ihm vorgekommen sind, entweder passive, da sie von andern wiederhohlt aufgeregt worden, oder aktive, da die Seele, weil sie sie gleich in der ersten Jugend gedacht, selbst, sie oft erneuert. Und, ist dieses nun die Ursache; so ist ja deutlich, daß jeder eine solche Lieblingsidee habe; denn jeder Mensch lebt ja in einem gewissen bestimmten Kreise; und hat auch seine besondre Erziehung genossen; Laßt uns also vom offenbar Naͤrrischen zu dem vernuͤnftigsten Menschen herabsteigen; werden wir einen andern Unterschied zwischen beiden als den Grad finden? und koͤnnen wir demnach nicht von dem Vernuͤnftigen zum Narren in unmerklicher Stufenfolge fortsteigen? und ist also der Satz, daß jeder sein Gran Narrheit habe, nicht wahr und allgemein?*)
Salomon Maimon.
*) Der Verfasser unterscheidet zwei Hauptgattungen von Narren. Die eine ist die Gattung derjenigen Narren, die alle Dinge von einer verkehrten Seite ansehn, die andere besteht aus denjenigen welche ihre Narrheit nur in einem gewissen Falle aͤußern.
Jch glaube aber, daß man schwerlich Narren von der ersten Gattung finden wird, d.h. solche, die, wie der Verfasser sich ausdruͤckt, alle Dinge von einer verkehrten Seite ansehn, oder von allen Dingen falsche Vorstellungen haben. Es kann allerdings Narren von der zweiten Gattung geben, d.h. solche, die nur eine einzige falsche Vorstellung haben, die aber dennoch aus diesem Grunde alle Dinge verkehrt ansehn; wenn nehmlich diese einzige falsche Vorstellung etwas betrift, das mit allen Dingen im Verhaͤltniß steht. Die Korrelata (alle andere Dinge) koͤnnen also immer in der Vorstellung unveraͤndert bleiben, so wird doch dadurch ihr Verhaͤltniß zu dem Dinge wovon man eine falsche Vorstellung hat, nothwendig veraͤndert. Wie wenn z.B. jemand sich einbildet von Glas gemacht zu seyn; so hat er blos von einem einzigen Dinge eine falsche Vorstellung, nehmlich von seinem Koͤrper, und dennoch fuͤrchtet er nicht nur, eine schwere Last zu tragen, als wodurch er nach seiner Einbildung zerbrochen werden koͤnnte, sondern auch, sich auf den Tisch zu lehnen, auf dem Stuhle zu sitzen, auf dem Bette zu liegen, auf den Erdboden zu treten u.s.w. weil alle diese Dinge zum Glase eben dasselbe Verhaͤltniß haben. So wie ohngefaͤhr bei dem Gelbsuͤchtigen die Veraͤnderung der Beschaffenheit der Augensaͤfte, die Veraͤnderung der Farbe aller Dinge nach sich zieht.
So sehe ich auch nicht ein, warum der V. die Ursache der ersten Gattung im Koͤrper, der zweiten aber in der Seele zu liegen glaubt? dieses wird von ihm ganz willkuͤrlich angenommen, ohne bewiesen zu werden.
Ferner sagt der V. »Der Witz ist u.s.w. — ungezwungen wird man alle Seelenkraͤfte auf ihn zuruͤckbringen koͤnnen.« Hier koͤmmt es darauf an, zu wissen, was doch der V. unter Witz verstehn mag. Versteht er darunter, nach der gewoͤhnlichen Erklaͤrung, das Vermoͤgen, die Aehnlichkeit der Dinge wahrzunehmen, so kann er nicht behaupten, daß der Witz das einzige Seelenvermoͤgen sey, worauf alle uͤbrigen sich reduziren lassen. Association ist freilich zu allen Seelenoperationen nothwendig. Aber die Association beruht nicht einzig und allein auf Aehnlichkeit, sondern kann auch auf Koexistenz, und Dependenz (von Grund und Folge) beruhen. Wir koͤnnen daher allerdings gehabte, nunmehr schlummernde Jdeen auch ohne irgend eine Aehnlichkeit mit den gegenwaͤrtigen blos wegen ihrer Koexistenz mit denselben reproduziren. Folglich haͤngt das Gedaͤchtniß nicht nothwendig vom Witze ab.
Versteht er aber unter Witz das Associationsvermoͤgen im Allgemeinen, so ist diese Bedeutung offenbar wider den Sprachgebrauch. Was er ferner in Ansehung des Scharfsinns sagt, so koͤmmt es hier auf den Begriff der Verschiedenheit an; ist nehmlich Verschiedenheit nichts anders als Theilentgegensetzung, so muß allerdings die Aehnlichkeit der Verschiedenheit vorhergegangen seyn; weil die Entgegensetzung in eben demselben Subjekte gedacht werden muß; folglich muͤssen die Dinge die als voneinander verschieden gedacht werden sollen, in Ansehung des Subjekts, das in beiden einerlei ist, aͤhnlich seyn. Jst aber bei ihm Verschiedenheit eine besondere Form, so kann man auch ohne Wahrnehmung der Aehnlichkeit die Dinge als verschieden denken. Der Begriff von der Tugend z.B. ist von dem Begriffe eines Dreiecks, ohne demselben in irgend etwas aͤhnlich zu seyn, verschieden.
Was er ferner in Ansehung des Unterschiedes zwischen Jdeen und Gedanken sagt, daß nehmlich jene einander erzeugen, folglich immer in einer ununterbrochnen Reihe fortgehen, diese aber nicht, ist mehr spitzfuͤndig als reel. Wenn blos die Vorstellung des Mehr zur Vergesellschaftung verschiedener Jdeen hinreichend ist, so sind alle Jdeen ohne Unterschied gesellschaftliche Jdeen. — Das Gesetz der Association ist aber blos ein Gesetz der Einbildungskraft. Diese haͤngt aber allerdings von der Empfindung ab, nicht aber umgekehrt. Man muß daher diesem Gesetze zu Folge von der, die gegenwaͤrtige Empfindung begleitenden Jdee auf eine mit derselben associirte vergangne gerathen; es ist aber nicht nothwendig, daß man auch umgekehrt von einer vergangenen Jdee in der Einbildungskraft auf eine mit ihr gesellschaftliche Empfindung gerathe. Die Verbindung die Leibnitz hier annimmt hat ganz einen andern Sinn. —
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |