Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite


Welt geerbt, die ihn zum sehr neutralen Beobachter in freiem Geist machen konnte, und von der Mutter das Feuer zum Denken, das er ganz zum Studieren und Beobachten alles ihm möglichen anwandte; denn schon im neunten Jahre fieng er von selbst an, das Lernen und Studieren mit Auszugmachen aus Büchern, des Tages bis in die Nacht um zwölf oder ein Uhr fortzusetzen, und im Sommer des Morgens um drei oder vier Uhr wieder anzufangen, ohne Schaden davon zu erfahren; denn im Herbst, Winter und Frühling ließ er sich mehr Zeit zur Ruhe, und nach der ersten Hitze eines Sommers studierte er viele Jahre mit mehr Maaße und Beobachtung seiner selbst, ohne andre Anführung als ein Gefühl seiner Stirne, das ihn bemerken ließ, wenn er sich etwan zu sehr anstrengte, und die Stirne gespannt fand: da ließ er denn augenblicklich eine Minute oder mehr nach, um dann frisch wieder fortzufahren. Mit solchen kleinen Unterbrechungen geschah es, daß er gar wohl ganze Monate und Jahre seinen Studierfleiß fortsetzen mochte, munter gleichsam ganze Bibliotheken zu verschlingen, und besonders zusammenhängende historische, poetische oder philosophische Werke in einem fort bis zu Ende zu bringen, um ihren Geist ganz zu fassen, allgemeine Uebersichten zu erhalten zu Generalbegriffen, nachdem er die Bibliothek seines Vaters zuerst durchsehen, die meist theologisch, welthistorisch und medicinisch war; theologisch und historisch


Welt geerbt, die ihn zum sehr neutralen Beobachter in freiem Geist machen konnte, und von der Mutter das Feuer zum Denken, das er ganz zum Studieren und Beobachten alles ihm moͤglichen anwandte; denn schon im neunten Jahre fieng er von selbst an, das Lernen und Studieren mit Auszugmachen aus Buͤchern, des Tages bis in die Nacht um zwoͤlf oder ein Uhr fortzusetzen, und im Sommer des Morgens um drei oder vier Uhr wieder anzufangen, ohne Schaden davon zu erfahren; denn im Herbst, Winter und Fruͤhling ließ er sich mehr Zeit zur Ruhe, und nach der ersten Hitze eines Sommers studierte er viele Jahre mit mehr Maaße und Beobachtung seiner selbst, ohne andre Anfuͤhrung als ein Gefuͤhl seiner Stirne, das ihn bemerken ließ, wenn er sich etwan zu sehr anstrengte, und die Stirne gespannt fand: da ließ er denn augenblicklich eine Minute oder mehr nach, um dann frisch wieder fortzufahren. Mit solchen kleinen Unterbrechungen geschah es, daß er gar wohl ganze Monate und Jahre seinen Studierfleiß fortsetzen mochte, munter gleichsam ganze Bibliotheken zu verschlingen, und besonders zusammenhaͤngende historische, poetische oder philosophische Werke in einem fort bis zu Ende zu bringen, um ihren Geist ganz zu fassen, allgemeine Uebersichten zu erhalten zu Generalbegriffen, nachdem er die Bibliothek seines Vaters zuerst durchsehen, die meist theologisch, welthistorisch und medicinisch war; theologisch und historisch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0103" n="103"/><lb/>
Welt geerbt, die ihn zum  sehr neutralen Beobachter in freiem Geist machen  konnte, und von der Mutter das Feuer zum Denken, das  er ganz zum Studieren und Beobachten alles ihm  mo&#x0364;glichen anwandte; denn schon im neunten Jahre  fieng er von selbst an, das Lernen und Studieren mit  Auszugmachen aus Bu&#x0364;chern, des Tages bis in die Nacht  um zwo&#x0364;lf oder ein Uhr fortzusetzen, und im Sommer  des Morgens um drei oder vier Uhr wieder anzufangen,  ohne Schaden davon zu erfahren; denn im Herbst,  Winter und Fru&#x0364;hling ließ er sich mehr Zeit zur Ruhe,  und nach der ersten Hitze eines Sommers studierte er  viele Jahre mit mehr Maaße und Beobachtung seiner  selbst, ohne andre Anfu&#x0364;hrung als ein Gefu&#x0364;hl seiner  Stirne, das ihn bemerken ließ, wenn er sich etwan zu  sehr anstrengte, und die Stirne gespannt fand: da  ließ er denn augenblicklich eine Minute oder mehr  nach, um dann frisch wieder fortzufahren. Mit  solchen kleinen Unterbrechungen geschah es, daß er  gar wohl ganze Monate und Jahre seinen Studierfleiß  fortsetzen mochte, munter gleichsam ganze  Bibliotheken zu verschlingen, und besonders  zusammenha&#x0364;ngende historische, poetische oder  philosophische Werke in einem fort bis zu Ende zu  bringen, um ihren Geist ganz zu fassen, allgemeine  Uebersichten zu erhalten zu Generalbegriffen,  nachdem er die Bibliothek seines Vaters zuerst  durchsehen, die meist theologisch, welthistorisch  und medicinisch war; theologisch und historisch<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0103] Welt geerbt, die ihn zum sehr neutralen Beobachter in freiem Geist machen konnte, und von der Mutter das Feuer zum Denken, das er ganz zum Studieren und Beobachten alles ihm moͤglichen anwandte; denn schon im neunten Jahre fieng er von selbst an, das Lernen und Studieren mit Auszugmachen aus Buͤchern, des Tages bis in die Nacht um zwoͤlf oder ein Uhr fortzusetzen, und im Sommer des Morgens um drei oder vier Uhr wieder anzufangen, ohne Schaden davon zu erfahren; denn im Herbst, Winter und Fruͤhling ließ er sich mehr Zeit zur Ruhe, und nach der ersten Hitze eines Sommers studierte er viele Jahre mit mehr Maaße und Beobachtung seiner selbst, ohne andre Anfuͤhrung als ein Gefuͤhl seiner Stirne, das ihn bemerken ließ, wenn er sich etwan zu sehr anstrengte, und die Stirne gespannt fand: da ließ er denn augenblicklich eine Minute oder mehr nach, um dann frisch wieder fortzufahren. Mit solchen kleinen Unterbrechungen geschah es, daß er gar wohl ganze Monate und Jahre seinen Studierfleiß fortsetzen mochte, munter gleichsam ganze Bibliotheken zu verschlingen, und besonders zusammenhaͤngende historische, poetische oder philosophische Werke in einem fort bis zu Ende zu bringen, um ihren Geist ganz zu fassen, allgemeine Uebersichten zu erhalten zu Generalbegriffen, nachdem er die Bibliothek seines Vaters zuerst durchsehen, die meist theologisch, welthistorisch und medicinisch war; theologisch und historisch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/103
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/103>, abgerufen am 04.12.2024.