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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.

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3. Uebergang des Aberglaubens in Wahnwitz.
(Siehe 9ten Bandes 1stes Stück S. 109.)

Anna Maria Sirkin, kleiner Statur und magerer Komplexion, auf dem Lande geboren, in der katholischen Religion und allem Aberglauben des rohesten Landvolkes erzogen, war seit ihrem 14ten Jahre, immer im ehelosen Stande, in der Stadt gewesen, und hatte dreizehn Jahre lang in meiner Eltern Hause als Köchin gedient. Jhrem Charakter nach war sie mißtrauisch, eigensinnig, zänkisch, hatte ihre ganz eignen Launen, war wenig dienstfertig und floh die Menschen. Thätigkeit war ihre Sache nicht, sie sprach wenig, und konnte Stundenlang sitzen ohne ein Glied zu rühren, pflegte doch aber zwischenein vor sich etwas zu singen. Sie sparte mit äußerster Sorgfalt, und vielleicht war das die Ursache ihrer wenigen Geselligkeit. Andächtig war sie nicht übertrieben. Sie ging wöchentlich einmal in die Kirche, und betete zu Hause ihren Rosenkranz und ihren Morgen- und Abendseegen richtig. Das war alles. Doch hatte sie eine so große Anhänglichkeit an Pfaffen, besonders an Franziskanermönche (die bekanntlich aller Orten die allerabergläubigsten und vernunftlosesten sind), daß sie, trotz ihrem Geitze, alles hingab, sobald es Pfaffen


3. Uebergang des Aberglaubens in Wahnwitz.
(Siehe 9ten Bandes 1stes Stuͤck S. 109.)

Anna Maria Sirkin, kleiner Statur und magerer Komplexion, auf dem Lande geboren, in der katholischen Religion und allem Aberglauben des rohesten Landvolkes erzogen, war seit ihrem 14ten Jahre, immer im ehelosen Stande, in der Stadt gewesen, und hatte dreizehn Jahre lang in meiner Eltern Hause als Koͤchin gedient. Jhrem Charakter nach war sie mißtrauisch, eigensinnig, zaͤnkisch, hatte ihre ganz eignen Launen, war wenig dienstfertig und floh die Menschen. Thaͤtigkeit war ihre Sache nicht, sie sprach wenig, und konnte Stundenlang sitzen ohne ein Glied zu ruͤhren, pflegte doch aber zwischenein vor sich etwas zu singen. Sie sparte mit aͤußerster Sorgfalt, und vielleicht war das die Ursache ihrer wenigen Geselligkeit. Andaͤchtig war sie nicht uͤbertrieben. Sie ging woͤchentlich einmal in die Kirche, und betete zu Hause ihren Rosenkranz und ihren Morgen- und Abendseegen richtig. Das war alles. Doch hatte sie eine so große Anhaͤnglichkeit an Pfaffen, besonders an Franziskanermoͤnche (die bekanntlich aller Orten die alleraberglaͤubigsten und vernunftlosesten sind), daß sie, trotz ihrem Geitze, alles hingab, sobald es Pfaffen

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[26/0026] 3. Uebergang des Aberglaubens in Wahnwitz. (Siehe 9ten Bandes 1stes Stuͤck S. 109.) Anna Maria Sirkin, kleiner Statur und magerer Komplexion, auf dem Lande geboren, in der katholischen Religion und allem Aberglauben des rohesten Landvolkes erzogen, war seit ihrem 14ten Jahre, immer im ehelosen Stande, in der Stadt gewesen, und hatte dreizehn Jahre lang in meiner Eltern Hause als Koͤchin gedient. Jhrem Charakter nach war sie mißtrauisch, eigensinnig, zaͤnkisch, hatte ihre ganz eignen Launen, war wenig dienstfertig und floh die Menschen. Thaͤtigkeit war ihre Sache nicht, sie sprach wenig, und konnte Stundenlang sitzen ohne ein Glied zu ruͤhren, pflegte doch aber zwischenein vor sich etwas zu singen. Sie sparte mit aͤußerster Sorgfalt, und vielleicht war das die Ursache ihrer wenigen Geselligkeit. Andaͤchtig war sie nicht uͤbertrieben. Sie ging woͤchentlich einmal in die Kirche, und betete zu Hause ihren Rosenkranz und ihren Morgen- und Abendseegen richtig. Das war alles. Doch hatte sie eine so große Anhaͤnglichkeit an Pfaffen, besonders an Franziskanermoͤnche (die bekanntlich aller Orten die alleraberglaͤubigsten und vernunftlosesten sind), daß sie, trotz ihrem Geitze, alles hingab, sobald es Pfaffen

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/26>, abgerufen am 23.11.2024.