Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.
Aber da er verheirathet war, und sechs Kinder hatte, die eben so wenig als seine Frau von ihm
Aber da er verheirathet war, und sechs Kinder hatte, die eben so wenig als seine Frau von ihm <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0003" n="3"/><lb/> ner Offenheit, und der gelassenen Duldung mancherlei Leiden. Freilich schien das letztre ihm nicht ganz zum Verdienst angerechnet werden zu koͤnnen, indem Schmerz und Freude, vermoͤge seines melankolischen Temperaments, nur geringen Einfluß auf ihn hatten, und er, vermoͤge seines Standes, an den Lustbarkeiten der großen Welt und ihren Begriffen nicht den mindesten Antheil nahm. Aber wenn er an dem Vermaͤhlungstage seiner aͤltesten Tochter die Nachricht davon mit einem Jnteresse las, das genugsam die geringe Theilnahme an der Feierlichkeit des Tages verrieth; wenn er am Sterbebette eben dieser Tochter mit eigner Hand ein Paket zeichnet, das nach der Post sollte und 6 Pf. gekostet haben wuͤrde, wenn es dort gezeichnet worden waͤre, so thut man ihm Unrecht, diese Gleichguͤltigkeit fuͤr Kaͤlte, und diese Kaͤlte ganz fuͤr Temperamentsfehler auszugeben. Sie war groͤßtentheils Prinzip, Vorsatz. Aus den Lehren der Stoiker, die ihm bekannt waren, nahm er den Satz heraus: der Mensch muͤsse alles anwenden, um vom Einflusse der aͤußern Dinge unabhaͤngig zu seyn, und sein ganzes Leben war ein stetes Bestreben der Natur, die ihm zu dieser Unabhaͤngigkeit die Hand bot. Er hatte es auch hierin wirklich auf <choice><corr>einen</corr><sic>einem</sic></choice> hohen Grad gebracht. Er, fuͤr sich, hatte nur wenige, nur leicht zu befriedigende Beduͤrfnisse.</p> <p>Aber da er verheirathet war, und sechs Kinder hatte, die eben so wenig als seine Frau von ihm<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [3/0003]
ner Offenheit, und der gelassenen Duldung mancherlei Leiden. Freilich schien das letztre ihm nicht ganz zum Verdienst angerechnet werden zu koͤnnen, indem Schmerz und Freude, vermoͤge seines melankolischen Temperaments, nur geringen Einfluß auf ihn hatten, und er, vermoͤge seines Standes, an den Lustbarkeiten der großen Welt und ihren Begriffen nicht den mindesten Antheil nahm. Aber wenn er an dem Vermaͤhlungstage seiner aͤltesten Tochter die Nachricht davon mit einem Jnteresse las, das genugsam die geringe Theilnahme an der Feierlichkeit des Tages verrieth; wenn er am Sterbebette eben dieser Tochter mit eigner Hand ein Paket zeichnet, das nach der Post sollte und 6 Pf. gekostet haben wuͤrde, wenn es dort gezeichnet worden waͤre, so thut man ihm Unrecht, diese Gleichguͤltigkeit fuͤr Kaͤlte, und diese Kaͤlte ganz fuͤr Temperamentsfehler auszugeben. Sie war groͤßtentheils Prinzip, Vorsatz. Aus den Lehren der Stoiker, die ihm bekannt waren, nahm er den Satz heraus: der Mensch muͤsse alles anwenden, um vom Einflusse der aͤußern Dinge unabhaͤngig zu seyn, und sein ganzes Leben war ein stetes Bestreben der Natur, die ihm zu dieser Unabhaͤngigkeit die Hand bot. Er hatte es auch hierin wirklich auf einen hohen Grad gebracht. Er, fuͤr sich, hatte nur wenige, nur leicht zu befriedigende Beduͤrfnisse.
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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