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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.

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Als es nachher darauf ankam, daß einige Hüner sollten geschlachtet werden, konnte sie sich durchaus nicht zu dieser Unternehmung entschließen, sie versuchte es zwar aus Gehorsam, wetzte auch schon das Messer; allein der Abscheu dagegen war doch so stark bei ihr, daß sie sich zuletzt genöthigt sah, zu ihrer Gebieterin zu gehen, und gerade heraus zu erklären, sie würde dieses Geschäft nicht verrichten. -- Nun schwieg man nicht länger, und deutete ihr geradezu an, sie wäre krank. Das wollte sie nicht zugeben, ihr schade nichts, sagte sie, sie sei ganz gesund. Dabei sah sie erhitzt und aufgetrieben aus, die Augen funkelten, sie war unruhig, seufzte, und fing an zu wimmern.

Man wollte ihr ein antiphlogistisches Pulver geben, allein dazu war sie nicht zu bewegen, und gab zu verstehen, es möchte wohl Gift seyn. Man rieth ihr eine Aderläße, allein sie erwiederte, es wäre ihr heute unmöglich Blut zu sehen. -- Da man nichts mit ihr ausrichten konnte, entließ man sie endlich. Nun fing sie an im Hause herumzuwandern, ächzte und wimmerte ohne Aufhören, und ließ zwischenein abgebrochene Worte hören: Ach Gott! welches Gesause? wie's dort pfeift! hört Jhr nicht? -- Dabei wollte sie keinen Menschen zum Hause hinauslassen; dort geradeüber, sagte sie, stände er, und wer sich hinauswagte, dem würde er auf alle Fälle den Hals umdrehen, und zeigte dabei auf einen ehrlichen Krämerburschen, der vor seiner


Als es nachher darauf ankam, daß einige Huͤner sollten geschlachtet werden, konnte sie sich durchaus nicht zu dieser Unternehmung entschließen, sie versuchte es zwar aus Gehorsam, wetzte auch schon das Messer; allein der Abscheu dagegen war doch so stark bei ihr, daß sie sich zuletzt genoͤthigt sah, zu ihrer Gebieterin zu gehen, und gerade heraus zu erklaͤren, sie wuͤrde dieses Geschaͤft nicht verrichten. — Nun schwieg man nicht laͤnger, und deutete ihr geradezu an, sie waͤre krank. Das wollte sie nicht zugeben, ihr schade nichts, sagte sie, sie sei ganz gesund. Dabei sah sie erhitzt und aufgetrieben aus, die Augen funkelten, sie war unruhig, seufzte, und fing an zu wimmern.

Man wollte ihr ein antiphlogistisches Pulver geben, allein dazu war sie nicht zu bewegen, und gab zu verstehen, es moͤchte wohl Gift seyn. Man rieth ihr eine Aderlaͤße, allein sie erwiederte, es waͤre ihr heute unmoͤglich Blut zu sehen. — Da man nichts mit ihr ausrichten konnte, entließ man sie endlich. Nun fing sie an im Hause herumzuwandern, aͤchzte und wimmerte ohne Aufhoͤren, und ließ zwischenein abgebrochene Worte hoͤren: Ach Gott! welches Gesause? wie's dort pfeift! hoͤrt Jhr nicht? — Dabei wollte sie keinen Menschen zum Hause hinauslassen; dort geradeuͤber, sagte sie, staͤnde er, und wer sich hinauswagte, dem wuͤrde er auf alle Faͤlle den Hals umdrehen, und zeigte dabei auf einen ehrlichen Kraͤmerburschen, der vor seiner

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[32/0032] Als es nachher darauf ankam, daß einige Huͤner sollten geschlachtet werden, konnte sie sich durchaus nicht zu dieser Unternehmung entschließen, sie versuchte es zwar aus Gehorsam, wetzte auch schon das Messer; allein der Abscheu dagegen war doch so stark bei ihr, daß sie sich zuletzt genoͤthigt sah, zu ihrer Gebieterin zu gehen, und gerade heraus zu erklaͤren, sie wuͤrde dieses Geschaͤft nicht verrichten. — Nun schwieg man nicht laͤnger, und deutete ihr geradezu an, sie waͤre krank. Das wollte sie nicht zugeben, ihr schade nichts, sagte sie, sie sei ganz gesund. Dabei sah sie erhitzt und aufgetrieben aus, die Augen funkelten, sie war unruhig, seufzte, und fing an zu wimmern. Man wollte ihr ein antiphlogistisches Pulver geben, allein dazu war sie nicht zu bewegen, und gab zu verstehen, es moͤchte wohl Gift seyn. Man rieth ihr eine Aderlaͤße, allein sie erwiederte, es waͤre ihr heute unmoͤglich Blut zu sehen. — Da man nichts mit ihr ausrichten konnte, entließ man sie endlich. Nun fing sie an im Hause herumzuwandern, aͤchzte und wimmerte ohne Aufhoͤren, und ließ zwischenein abgebrochene Worte hoͤren: Ach Gott! welches Gesause? wie's dort pfeift! hoͤrt Jhr nicht? — Dabei wollte sie keinen Menschen zum Hause hinauslassen; dort geradeuͤber, sagte sie, staͤnde er, und wer sich hinauswagte, dem wuͤrde er auf alle Faͤlle den Hals umdrehen, und zeigte dabei auf einen ehrlichen Kraͤmerburschen, der vor seiner

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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/32>, abgerufen am 23.11.2024.