Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.B. J. hatte in seinem Wohnorte einen Busenfreund, mit Nahmen Moses Lapidoth. Sie waren beide von gleichem Alter, gleichen Studien, und beinahe in gleichen äußern Umständen, außer daß B. J. schon frühzeitig eine Neigung zu Wissenschaften äußerte, Lapidoth hingegen zwar Neigung zum Spekuliren, auch viel Scharfsinn und Beurtheilungskraft hatte, aber hierin nicht weiter gehn wollte, als er mit dem bloßen gesunden Verstande reichen könne. Diese Freunde pflegten sich oft über ihre Herzensangelegenheiten, besonders über die Gegenstände der Religion und Moral zu unterhalten. Sie waren die einzigen in dem Orte, die es wagten, nichts blos nachzuahmen, sondern über alles selbst zu denken. Es war also natürlich, daß, indem sie sich in ihren Meinungen und Handlungen von allen übrigen aus ihrer Gemeinde unterschieden, sie sich nach und nach von ihnen trennten, wodurch ihr Zustand (da sie doch von ihrer Gemeinde leben mußten) sich immer verschlimmerte. Sie merkten dieses zwar, wollten aber dennoch ihre Lieblingsneigungen keinem Jnteresse in der Welt aufopfern. Sie trösteten sich daher über diesen Verlust so gut sie konnten, sprachen beständig von der Eitelkeit aller Dinge, von den religiösen und moralischen Jrrthümern des gemeinen Haufens, auf den sie mit einer Art von edlem Stolze und Verachtung herabsahn. Besonders pflegten sie sich oft über die Falschheit der mensch- B. J. hatte in seinem Wohnorte einen Busenfreund, mit Nahmen Moses Lapidoth. Sie waren beide von gleichem Alter, gleichen Studien, und beinahe in gleichen aͤußern Umstaͤnden, außer daß B. J. schon fruͤhzeitig eine Neigung zu Wissenschaften aͤußerte, Lapidoth hingegen zwar Neigung zum Spekuliren, auch viel Scharfsinn und Beurtheilungskraft hatte, aber hierin nicht weiter gehn wollte, als er mit dem bloßen gesunden Verstande reichen koͤnne. Diese Freunde pflegten sich oft uͤber ihre Herzensangelegenheiten, besonders uͤber die Gegenstaͤnde der Religion und Moral zu unterhalten. Sie waren die einzigen in dem Orte, die es wagten, nichts blos nachzuahmen, sondern uͤber alles selbst zu denken. Es war also natuͤrlich, daß, indem sie sich in ihren Meinungen und Handlungen von allen uͤbrigen aus ihrer Gemeinde unterschieden, sie sich nach und nach von ihnen trennten, wodurch ihr Zustand (da sie doch von ihrer Gemeinde leben mußten) sich immer verschlimmerte. Sie merkten dieses zwar, wollten aber dennoch ihre Lieblingsneigungen keinem Jnteresse in der Welt aufopfern. Sie troͤsteten sich daher uͤber diesen Verlust so gut sie konnten, sprachen bestaͤndig von der Eitelkeit aller Dinge, von den religioͤsen und moralischen Jrrthuͤmern des gemeinen Haufens, auf den sie mit einer Art von edlem Stolze und Verachtung herabsahn. Besonders pflegten sie sich oft uͤber die Falschheit der mensch- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0047" n="47"/><lb/> <p><hi rendition="#b">B. J.</hi> hatte in seinem Wohnorte einen Busenfreund, mit Nahmen <hi rendition="#b">Moses Lapidoth.</hi> Sie waren beide von gleichem Alter, gleichen Studien, und beinahe in gleichen aͤußern Umstaͤnden, außer daß <hi rendition="#b">B. J.</hi> schon fruͤhzeitig eine Neigung zu Wissenschaften aͤußerte, Lapidoth hingegen zwar Neigung zum Spekuliren, auch viel Scharfsinn und Beurtheilungskraft hatte, aber hierin nicht weiter gehn wollte, als er mit dem bloßen gesunden Verstande reichen koͤnne. Diese Freunde pflegten sich oft uͤber ihre Herzensangelegenheiten, besonders uͤber die Gegenstaͤnde der Religion und Moral zu unterhalten. Sie waren die einzigen in dem Orte, die es wagten, <hi rendition="#b">nichts blos nachzuahmen,</hi> sondern <hi rendition="#b">uͤber alles selbst zu denken.</hi> Es war also natuͤrlich, daß, indem sie sich in ihren Meinungen und Handlungen von allen uͤbrigen aus ihrer Gemeinde unterschieden, sie sich nach und nach von ihnen trennten, wodurch ihr Zustand (da sie doch von ihrer Gemeinde leben mußten) sich immer verschlimmerte. Sie merkten dieses zwar, wollten aber dennoch ihre Lieblingsneigungen keinem Jnteresse in der Welt aufopfern. Sie troͤsteten sich daher uͤber diesen Verlust so gut sie konnten, sprachen bestaͤndig von der <hi rendition="#b">Eitelkeit aller Dinge,</hi> von den <hi rendition="#b">religioͤsen und moralischen Jrrthuͤmern</hi> des gemeinen Haufens, auf den sie mit einer Art von edlem Stolze und Verachtung herabsahn. Besonders pflegten sie sich oft uͤber die Falschheit der mensch-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [47/0047]
B. J. hatte in seinem Wohnorte einen Busenfreund, mit Nahmen Moses Lapidoth. Sie waren beide von gleichem Alter, gleichen Studien, und beinahe in gleichen aͤußern Umstaͤnden, außer daß B. J. schon fruͤhzeitig eine Neigung zu Wissenschaften aͤußerte, Lapidoth hingegen zwar Neigung zum Spekuliren, auch viel Scharfsinn und Beurtheilungskraft hatte, aber hierin nicht weiter gehn wollte, als er mit dem bloßen gesunden Verstande reichen koͤnne. Diese Freunde pflegten sich oft uͤber ihre Herzensangelegenheiten, besonders uͤber die Gegenstaͤnde der Religion und Moral zu unterhalten. Sie waren die einzigen in dem Orte, die es wagten, nichts blos nachzuahmen, sondern uͤber alles selbst zu denken. Es war also natuͤrlich, daß, indem sie sich in ihren Meinungen und Handlungen von allen uͤbrigen aus ihrer Gemeinde unterschieden, sie sich nach und nach von ihnen trennten, wodurch ihr Zustand (da sie doch von ihrer Gemeinde leben mußten) sich immer verschlimmerte. Sie merkten dieses zwar, wollten aber dennoch ihre Lieblingsneigungen keinem Jnteresse in der Welt aufopfern. Sie troͤsteten sich daher uͤber diesen Verlust so gut sie konnten, sprachen bestaͤndig von der Eitelkeit aller Dinge, von den religioͤsen und moralischen Jrrthuͤmern des gemeinen Haufens, auf den sie mit einer Art von edlem Stolze und Verachtung herabsahn. Besonders pflegten sie sich oft uͤber die Falschheit der mensch-
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