Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0048" n="48"/><lb/> lichen Tugend <hi rendition="#i">à la mandeville</hi> auszulassen. Z.B. Es hatten die Blattern in diesem Orte grassirt, wodurch viele Kinder hingeraft worden waren. Die Aeltesten der Gemeinde versammelten sich, um die geheimen Suͤnden ausfindig zu machen, um derentwillen sie diese Strafe (wofuͤr sie es ansahn) litten. Nach angestellter Untersuchung fand es sich, daß eine junge Wittwe aus der juͤdischen Nation mit einigen Hofbedienten einen zu freien Umgang pflege. Man schickte nach ihr, konnte aber durch alles Jnquiriren von ihr nichts mehr herausbringen, als daß sie zwar diese Leute, die bei ihr Meth traͤnken, wie billig, mit einem gefaͤlligen zuvorkommenden Wesen aufnaͤhme, uͤbrigens aber sich dabei keiner Suͤnde bewußt sey. Man wollte, da man keine andere Jndizien hatte, sie schon loßlassen, als eine aͤltliche Matrone, Madam F., wie eine Furie geflogen kam und schrie: <hi rendition="#b">peitscht siel peitscht sie</hi> so lange bis sie ihr Verbrechen gestanden haben wird! thut Jhr es nicht, so treffe Euch die Schuld des Todes von so viel unschuldigen Seelen. <hi rendition="#b">L.,</hi> der mit seinem Freunde <hi rendition="#b">B. J.</hi> dieser Scene beiwohnte, sagte darauf zu diesem: Freund! meinst du, daß Madam F., blos von einem <hi rendition="#b">heiligen Eifer</hi> und Gefuͤhle fuͤrs allgemeine Beste ergriffen, diese Frau so scharf anklagt? o nein! Sie ist blos auf sie boͤse, daß sie noch gefaͤllt, indem sie selbst darauf keinen Anspruch mehr machen darf. Darauf antwortete <hi rendition="#b">B. J.</hi>: Freund! du sprichst nach meinem Sinn.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [48/0048]
lichen Tugend à la mandeville auszulassen. Z.B. Es hatten die Blattern in diesem Orte grassirt, wodurch viele Kinder hingeraft worden waren. Die Aeltesten der Gemeinde versammelten sich, um die geheimen Suͤnden ausfindig zu machen, um derentwillen sie diese Strafe (wofuͤr sie es ansahn) litten. Nach angestellter Untersuchung fand es sich, daß eine junge Wittwe aus der juͤdischen Nation mit einigen Hofbedienten einen zu freien Umgang pflege. Man schickte nach ihr, konnte aber durch alles Jnquiriren von ihr nichts mehr herausbringen, als daß sie zwar diese Leute, die bei ihr Meth traͤnken, wie billig, mit einem gefaͤlligen zuvorkommenden Wesen aufnaͤhme, uͤbrigens aber sich dabei keiner Suͤnde bewußt sey. Man wollte, da man keine andere Jndizien hatte, sie schon loßlassen, als eine aͤltliche Matrone, Madam F., wie eine Furie geflogen kam und schrie: peitscht siel peitscht sie so lange bis sie ihr Verbrechen gestanden haben wird! thut Jhr es nicht, so treffe Euch die Schuld des Todes von so viel unschuldigen Seelen. L., der mit seinem Freunde B. J. dieser Scene beiwohnte, sagte darauf zu diesem: Freund! meinst du, daß Madam F., blos von einem heiligen Eifer und Gefuͤhle fuͤrs allgemeine Beste ergriffen, diese Frau so scharf anklagt? o nein! Sie ist blos auf sie boͤse, daß sie noch gefaͤllt, indem sie selbst darauf keinen Anspruch mehr machen darf. Darauf antwortete B. J.: Freund! du sprichst nach meinem Sinn.
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