Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.
Die Aufklärer hingegen forderten als Bedingung der wahren Tugend ein heiteres, zu allen Arten von Thätigkeit aufgelegtes, Gemüth; sie erlaubten nicht nur, sondern empfahlen sogar einen mäßigen, zu Erlangung der Heiterkeit des Gemüths erforderlichen Genuß aller Arten der Vergnügungen. Jhr Gottesdienst bestand in einer freiwilligen Entkörperung, d.h. Abstrahirung ihrer Gedanken von allen Dingen außer Gott, ja sogar von ihrem individuellen Jch, und Vereinigung mit Gott; woraus eine Art von Selbstverläugnung bei ihnen entstand, so daß sie alle in diesem Zustande
Die Aufklaͤrer hingegen forderten als Bedingung der wahren Tugend ein heiteres, zu allen Arten von Thaͤtigkeit aufgelegtes, Gemuͤth; sie erlaubten nicht nur, sondern empfahlen sogar einen maͤßigen, zu Erlangung der Heiterkeit des Gemuͤths erforderlichen Genuß aller Arten der Vergnuͤgungen. Jhr Gottesdienst bestand in einer freiwilligen Entkoͤrperung, d.h. Abstrahirung ihrer Gedanken von allen Dingen außer Gott, ja sogar von ihrem individuellen Jch, und Vereinigung mit Gott; woraus eine Art von Selbstverlaͤugnung bei ihnen entstand, so daß sie alle in diesem Zustande <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0070" n="70"/><lb/> ihr Motiv zur Tugend nicht <hi rendition="#b">die in der Vernunft gegruͤndete Erkenntniß Gottes und seiner Vollkommenheit</hi> ist, sondern vielmehr in <hi rendition="#b">falschen Vorstellungen von Gott und seinen Eigenschaften</hi> besteht, so konnte es nicht anders seyn, als daß sie auch die <hi rendition="#b">wahre</hi> Tugend verfehlten, und auf eine <hi rendition="#b">eingebildete Art</hi> von Tugend geriethen, und daß, anstatt daß sie <hi rendition="#b">aus Liebe zu Gott, und Neigung ihm aͤhnlich zu werden, sich der Sklaverei ihrer sinnlichen Begierden und Leidenschaften haͤtten entziehn, und nach Gesetzen des in der Vernunft gegruͤndeten freien Willens zu handeln</hi> sich bestreben sollen, sie vielmehr <hi rendition="#b">durch Vernichtung ihrer wirkenden Kraͤfte selbst, ihre Begierden und Leidenschaften zu vernichten suchten,</hi> wie wir dieses schon oben durch einige traurige Beispiele dargethan haben.</p> <p>Die Aufklaͤrer hingegen forderten als Bedingung der wahren Tugend ein <hi rendition="#b">heiteres, zu allen Arten von Thaͤtigkeit aufgelegtes, Gemuͤth;</hi> sie erlaubten nicht nur, sondern <hi rendition="#b">empfahlen</hi> sogar einen maͤßigen, zu Erlangung der Heiterkeit des Gemuͤths erforderlichen Genuß aller Arten der Vergnuͤgungen. Jhr Gottesdienst bestand in einer freiwilligen Entkoͤrperung, d.h. Abstrahirung ihrer Gedanken von allen Dingen außer Gott, ja sogar von ihrem individuellen <hi rendition="#b">Jch,</hi> und Vereinigung mit Gott; woraus eine Art von Selbstverlaͤugnung bei ihnen entstand, so daß sie alle in diesem Zustande<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [70/0070]
ihr Motiv zur Tugend nicht die in der Vernunft gegruͤndete Erkenntniß Gottes und seiner Vollkommenheit ist, sondern vielmehr in falschen Vorstellungen von Gott und seinen Eigenschaften besteht, so konnte es nicht anders seyn, als daß sie auch die wahre Tugend verfehlten, und auf eine eingebildete Art von Tugend geriethen, und daß, anstatt daß sie aus Liebe zu Gott, und Neigung ihm aͤhnlich zu werden, sich der Sklaverei ihrer sinnlichen Begierden und Leidenschaften haͤtten entziehn, und nach Gesetzen des in der Vernunft gegruͤndeten freien Willens zu handeln sich bestreben sollen, sie vielmehr durch Vernichtung ihrer wirkenden Kraͤfte selbst, ihre Begierden und Leidenschaften zu vernichten suchten, wie wir dieses schon oben durch einige traurige Beispiele dargethan haben.
Die Aufklaͤrer hingegen forderten als Bedingung der wahren Tugend ein heiteres, zu allen Arten von Thaͤtigkeit aufgelegtes, Gemuͤth; sie erlaubten nicht nur, sondern empfahlen sogar einen maͤßigen, zu Erlangung der Heiterkeit des Gemuͤths erforderlichen Genuß aller Arten der Vergnuͤgungen. Jhr Gottesdienst bestand in einer freiwilligen Entkoͤrperung, d.h. Abstrahirung ihrer Gedanken von allen Dingen außer Gott, ja sogar von ihrem individuellen Jch, und Vereinigung mit Gott; woraus eine Art von Selbstverlaͤugnung bei ihnen entstand, so daß sie alle in diesem Zustande
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