Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.
Toleranz bedürfen wir alle, wie der Philosoph meiner Geschichte und seine einfältige Schäferin, die einander nach achtzehnjähriger Herzensbekanntschaft endlich auf einem mit Wolken umgebenen Bergschlosse heiratheten, nach tausend durchdrungnen und überstiegnen Schwierigkeiten, Proben und Gefahren, nachdem er gut das 51ste, sie aber das 42ste Jahr zurückgelegt hatte. Jacob und Rahel waren nicht so alt, als sie einander um den Preis von vierzehn Dienstjahren zum ganzen frohen Besitzrecht erhielten. Da siehest du schon, liebe Lesegesellschaft von Ost, West, Süd oder Nord! wenn je diese Seltenheit das Glück hat, dir unter Augen zu kommen, daß die Geschichte von Nichts zu einer der größten Merkwürdigkeiten steigt. Da giebts auf einmal einen schönen großen Standpunkt, weit hinter sich und vor sich miteinander zu sehen. Wen siehest du lieber zuerst? das Frauenzimmer geht voran, sagt das Sprüchwort der Mode, und die Schönheit der Natur sieht man auch eher als den Verstand darin, davon, darzu, nicht wahr?
Toleranz beduͤrfen wir alle, wie der Philosoph meiner Geschichte und seine einfaͤltige Schaͤferin, die einander nach achtzehnjaͤhriger Herzensbekanntschaft endlich auf einem mit Wolken umgebenen Bergschlosse heiratheten, nach tausend durchdrungnen und uͤberstiegnen Schwierigkeiten, Proben und Gefahren, nachdem er gut das 51ste, sie aber das 42ste Jahr zuruͤckgelegt hatte. Jacob und Rahel waren nicht so alt, als sie einander um den Preis von vierzehn Dienstjahren zum ganzen frohen Besitzrecht erhielten. Da siehest du schon, liebe Lesegesellschaft von Ost, West, Suͤd oder Nord! wenn je diese Seltenheit das Gluͤck hat, dir unter Augen zu kommen, daß die Geschichte von Nichts zu einer der groͤßten Merkwuͤrdigkeiten steigt. Da giebts auf einmal einen schoͤnen großen Standpunkt, weit hinter sich und vor sich miteinander zu sehen. Wen siehest du lieber zuerst? das Frauenzimmer geht voran, sagt das Spruͤchwort der Mode, und die Schoͤnheit der Natur sieht man auch eher als den Verstand darin, davon, darzu, nicht wahr? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0090" n="90"/><lb/> in aller Hoͤhe, Tiefe, Breite und Laͤnge der anstaͤndigen Menschheit wohl seyn soll, die allbefriedigende <hi rendition="#b">Convenienz,</hi> was bringen sonst alle gute Beobachter, Denker, Vergleicher am Ende aller Menschlichkeit und Toleranz heraus? —</p> <p>Toleranz beduͤrfen wir alle, wie der Philosoph meiner Geschichte und seine einfaͤltige Schaͤferin, die einander nach achtzehnjaͤhriger Herzensbekanntschaft endlich auf einem mit Wolken umgebenen Bergschlosse heiratheten, nach tausend durchdrungnen und uͤberstiegnen Schwierigkeiten, Proben und Gefahren, nachdem er gut das 51ste, sie aber das 42ste Jahr zuruͤckgelegt hatte.</p> <p>Jacob und Rahel waren nicht so alt, als sie einander um den Preis von vierzehn Dienstjahren zum ganzen frohen Besitzrecht erhielten. Da siehest du schon, liebe Lesegesellschaft von Ost, West, Suͤd oder Nord! wenn je diese Seltenheit das Gluͤck hat, dir unter Augen zu kommen, daß die Geschichte von Nichts zu einer der groͤßten Merkwuͤrdigkeiten steigt. Da giebts auf einmal einen schoͤnen großen Standpunkt, weit hinter sich und vor sich miteinander zu sehen. Wen siehest du lieber zuerst? das Frauenzimmer geht voran, sagt das Spruͤchwort der Mode, und die Schoͤnheit der Natur sieht man auch eher als den Verstand darin, davon, darzu, nicht wahr?</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [90/0090]
in aller Hoͤhe, Tiefe, Breite und Laͤnge der anstaͤndigen Menschheit wohl seyn soll, die allbefriedigende Convenienz, was bringen sonst alle gute Beobachter, Denker, Vergleicher am Ende aller Menschlichkeit und Toleranz heraus? —
Toleranz beduͤrfen wir alle, wie der Philosoph meiner Geschichte und seine einfaͤltige Schaͤferin, die einander nach achtzehnjaͤhriger Herzensbekanntschaft endlich auf einem mit Wolken umgebenen Bergschlosse heiratheten, nach tausend durchdrungnen und uͤberstiegnen Schwierigkeiten, Proben und Gefahren, nachdem er gut das 51ste, sie aber das 42ste Jahr zuruͤckgelegt hatte.
Jacob und Rahel waren nicht so alt, als sie einander um den Preis von vierzehn Dienstjahren zum ganzen frohen Besitzrecht erhielten. Da siehest du schon, liebe Lesegesellschaft von Ost, West, Suͤd oder Nord! wenn je diese Seltenheit das Gluͤck hat, dir unter Augen zu kommen, daß die Geschichte von Nichts zu einer der groͤßten Merkwuͤrdigkeiten steigt. Da giebts auf einmal einen schoͤnen großen Standpunkt, weit hinter sich und vor sich miteinander zu sehen. Wen siehest du lieber zuerst? das Frauenzimmer geht voran, sagt das Spruͤchwort der Mode, und die Schoͤnheit der Natur sieht man auch eher als den Verstand darin, davon, darzu, nicht wahr?
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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