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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.

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Unsre einfältige Schäferin war, nach gewissen gemurmelten Nachrichten, ein Kind der Liebe, das erste ihrer Eltern, die ziemlich geschwind heirathen mußten, damit nicht etwan eine frühe Frucht voraus komme. Noch ziemlich glücklich und nicht gar zu frühe kam ein engelschönes Töchterchen ans Licht der Welt, in einer Schäferhütte auf dem Lande, wohin sich die Mutter im Herbst geflüchtet hatte, um nicht zu viel Beobachter umher zu haben. Sie war aus einem vornehmen Hause in der akronischen Jnsel und Seestadt Tiliane, und hatte eine aus dem dreißigjährigen Kriege gerettete Gräfin von Taxis zur Ahnfrau. Uebrigens war sie, nach Art mancher Vornehmen, sehr nachlässig erzogen, eher verwahrloset, allem Leichtsinn und Eigensinn Preis gegeben, daher sehr natürlich Fälle der Ausschweifung bei frühen Reizungen kommen. Der Gemahl, den sie heirathete, war ein stolz begüterter und wohlgereiseter Posamentirer, lustig für die Langeweile, gar bequem aus Trägheit, stolzem Eigensinn und Wollust zusammengesetzt; das Paar da, es mochte nun so viel zusammen bringen, als es wollte, verstand sich, dem Naturel und seinem Costume nach, ein Bischen zu wenig aufs Haushalten, machte so ein paarmal Bankerott, konnte bald sich kaum selbst mehr erhalten, und so mußte dann das erste Kind, die älteste Tochter, die nun vorsichtig strenger nach Ehre, als die Mutter, erzogen ward, nach ihrem zwölften Jahre schon in die Dienste andrer Vornehmen ge-


Unsre einfaͤltige Schaͤferin war, nach gewissen gemurmelten Nachrichten, ein Kind der Liebe, das erste ihrer Eltern, die ziemlich geschwind heirathen mußten, damit nicht etwan eine fruͤhe Frucht voraus komme. Noch ziemlich gluͤcklich und nicht gar zu fruͤhe kam ein engelschoͤnes Toͤchterchen ans Licht der Welt, in einer Schaͤferhuͤtte auf dem Lande, wohin sich die Mutter im Herbst gefluͤchtet hatte, um nicht zu viel Beobachter umher zu haben. Sie war aus einem vornehmen Hause in der akronischen Jnsel und Seestadt Tiliane, und hatte eine aus dem dreißigjaͤhrigen Kriege gerettete Graͤfin von Taxis zur Ahnfrau. Uebrigens war sie, nach Art mancher Vornehmen, sehr nachlaͤssig erzogen, eher verwahrloset, allem Leichtsinn und Eigensinn Preis gegeben, daher sehr natuͤrlich Faͤlle der Ausschweifung bei fruͤhen Reizungen kommen. Der Gemahl, den sie heirathete, war ein stolz beguͤterter und wohlgereiseter Posamentirer, lustig fuͤr die Langeweile, gar bequem aus Traͤgheit, stolzem Eigensinn und Wollust zusammengesetzt; das Paar da, es mochte nun so viel zusammen bringen, als es wollte, verstand sich, dem Naturel und seinem Costume nach, ein Bischen zu wenig aufs Haushalten, machte so ein paarmal Bankerott, konnte bald sich kaum selbst mehr erhalten, und so mußte dann das erste Kind, die aͤlteste Tochter, die nun vorsichtig strenger nach Ehre, als die Mutter, erzogen ward, nach ihrem zwoͤlften Jahre schon in die Dienste andrer Vornehmen ge-

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[91/0091] Unsre einfaͤltige Schaͤferin war, nach gewissen gemurmelten Nachrichten, ein Kind der Liebe, das erste ihrer Eltern, die ziemlich geschwind heirathen mußten, damit nicht etwan eine fruͤhe Frucht voraus komme. Noch ziemlich gluͤcklich und nicht gar zu fruͤhe kam ein engelschoͤnes Toͤchterchen ans Licht der Welt, in einer Schaͤferhuͤtte auf dem Lande, wohin sich die Mutter im Herbst gefluͤchtet hatte, um nicht zu viel Beobachter umher zu haben. Sie war aus einem vornehmen Hause in der akronischen Jnsel und Seestadt Tiliane, und hatte eine aus dem dreißigjaͤhrigen Kriege gerettete Graͤfin von Taxis zur Ahnfrau. Uebrigens war sie, nach Art mancher Vornehmen, sehr nachlaͤssig erzogen, eher verwahrloset, allem Leichtsinn und Eigensinn Preis gegeben, daher sehr natuͤrlich Faͤlle der Ausschweifung bei fruͤhen Reizungen kommen. Der Gemahl, den sie heirathete, war ein stolz beguͤterter und wohlgereiseter Posamentirer, lustig fuͤr die Langeweile, gar bequem aus Traͤgheit, stolzem Eigensinn und Wollust zusammengesetzt; das Paar da, es mochte nun so viel zusammen bringen, als es wollte, verstand sich, dem Naturel und seinem Costume nach, ein Bischen zu wenig aufs Haushalten, machte so ein paarmal Bankerott, konnte bald sich kaum selbst mehr erhalten, und so mußte dann das erste Kind, die aͤlteste Tochter, die nun vorsichtig strenger nach Ehre, als die Mutter, erzogen ward, nach ihrem zwoͤlften Jahre schon in die Dienste andrer Vornehmen ge-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/91>, abgerufen am 23.11.2024.