Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792.
"Ein Mensch unter Ludwig dem XIV. konnte aus der des Königs seiner sehr ähnlichen Schrift eines Grafen mit Zuverläßigkeit schließen, daß der Schreiber ein verächtlicher Kerl sei."*) Dieses ist ein Erfahrungsbeweiß, der freilich wenig gelten darf, und wenig gilt; denn es gab auch Wahrsager und Sterndeuter! -- Wie jeder Mensch nur eine Physiognomik hat, so hat er auch nur eine Handschrift -- wie nur einen Charakter: so auch nur einen Ausdruck desselben. Diese verändert sich eben so oft, als jene, hat eben sowohl, wie jene, ihre physischen Zeichen der Kindheit, Jugend, Mannheit und des Greisenalters. Diese ist eben so schwer, als jene, zu verstellen; wie hier immer die Grundphysiognomik bleibt, und nur die beweglichen Muskeln und Nerven anders gefaltet werden können, als die innre Empfindung will; so bleibt auch gewiß hier bei aller *) Sulzers Vorübung. S. 363, 364.
»Ein Mensch unter Ludwig dem XIV. konnte aus der des Koͤnigs seiner sehr aͤhnlichen Schrift eines Grafen mit Zuverlaͤßigkeit schließen, daß der Schreiber ein veraͤchtlicher Kerl sei.«*) Dieses ist ein Erfahrungsbeweiß, der freilich wenig gelten darf, und wenig gilt; denn es gab auch Wahrsager und Sterndeuter! — Wie jeder Mensch nur eine Physiognomik hat, so hat er auch nur eine Handschrift — wie nur einen Charakter: so auch nur einen Ausdruck desselben. Diese veraͤndert sich eben so oft, als jene, hat eben sowohl, wie jene, ihre physischen Zeichen der Kindheit, Jugend, Mannheit und des Greisenalters. Diese ist eben so schwer, als jene, zu verstellen; wie hier immer die Grundphysiognomik bleibt, und nur die beweglichen Muskeln und Nerven anders gefaltet werden koͤnnen, als die innre Empfindung will; so bleibt auch gewiß hier bei aller *) Sulzers Voruͤbung. S. 363, 364.
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Portrait eines Menschen. Jst dieses aber gut, was soll es hindern, daß sich das Charakeristische des Menschen von dem Nerven der Hand mittelst der Feder in dem Buchstaben herabsenke? — Wie der Mahler, so das Gemaͤhlde: wie der Schreiber, so seine Handschrift.
»Ein Mensch unter Ludwig dem XIV. konnte aus der des Koͤnigs seiner sehr aͤhnlichen Schrift eines Grafen mit Zuverlaͤßigkeit schließen, daß der Schreiber ein veraͤchtlicher Kerl sei.«*) Dieses ist ein Erfahrungsbeweiß, der freilich wenig gelten darf, und wenig gilt; denn es gab auch Wahrsager und Sterndeuter! —
Wie jeder Mensch nur eine Physiognomik hat, so hat er auch nur eine Handschrift — wie nur einen Charakter: so auch nur einen Ausdruck desselben. Diese veraͤndert sich eben so oft, als jene, hat eben sowohl, wie jene, ihre physischen Zeichen der Kindheit, Jugend, Mannheit und des Greisenalters. Diese ist eben so schwer, als jene, zu verstellen; wie hier immer die Grundphysiognomik bleibt, und nur die beweglichen Muskeln und Nerven anders gefaltet werden koͤnnen, als die innre Empfindung will; so bleibt auch gewiß hier bei aller
*) Sulzers Voruͤbung. S. 363, 364.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792/53>, abgerufen am 16.02.2025. |