"seinem unsterblichen Haupte, -- und der Olymp "erbebt. --"
Bei dem ältesten Dichter spricht Jupiter sel- ber, indem er den übrigen Göttern drohet, auf folgende Weise, die Macht seines Wesens aus: Eine goldne Kette will ich aus meiner Hand vom Himmel zur Erde senken; versucht es, all' ihr Götter und Göttinnen, und hängt das Gewicht eurer ganzen vereinten Macht an diese Kette; es wird euch nicht gelingen, den höchsten Jupiter vom Himmel zur Erde herabzuziehen; dieser aber wird die Kette, mit leichter Hand, und mit ihr Erd' und Meer gen Himmel heben, und sie an seinem hohen Sitz befestigen, daß die Welt an ihr schwebend hängt.
Hieraus erhellet deutlich, daß man sich zu dem erhabensten Begriff vom Jupiter das umge- bende Ganze selber als Urbild dachte. -- Da sich nun in dem Begriff dieser Umgebung alles veredelt; was Wunder denn, daß man die Hel- den, deren Erzeuger man nicht wußte, Söhne des Jupiter nannte, der in täuschenden Verwand- lungen sie mit ihren Müttern erzeugte. --
Denn mit dieser Gottheit, die das Spielende und Zarte, so wie das Majestätische und Hohe in sich vereinte, und selber sich in tausend Gestalten hüllte, konnte die Phantasie noch frei in kühnen Bildern scherzen; sie durfte sich mit an die goldne Kette
„ſeinem unſterblichen Haupte, — und der Olymp „erbebt. —“
Bei dem aͤlteſten Dichter ſpricht Jupiter ſel- ber, indem er den uͤbrigen Goͤttern drohet, auf folgende Weiſe, die Macht ſeines Weſens aus: Eine goldne Kette will ich aus meiner Hand vom Himmel zur Erde ſenken; verſucht es, all’ ihr Goͤtter und Goͤttinnen, und haͤngt das Gewicht eurer ganzen vereinten Macht an dieſe Kette; es wird euch nicht gelingen, den hoͤchſten Jupiter vom Himmel zur Erde herabzuziehen; dieſer aber wird die Kette, mit leichter Hand, und mit ihr Erd’ und Meer gen Himmel heben, und ſie an ſeinem hohen Sitz befeſtigen, daß die Welt an ihr ſchwebend haͤngt.
Hieraus erhellet deutlich, daß man ſich zu dem erhabenſten Begriff vom Jupiter das umge- bende Ganze ſelber als Urbild dachte. — Da ſich nun in dem Begriff dieſer Umgebung alles veredelt; was Wunder denn, daß man die Hel- den, deren Erzeuger man nicht wußte, Soͤhne des Jupiter nannte, der in taͤuſchenden Verwand- lungen ſie mit ihren Muͤttern erzeugte. —
Denn mit dieſer Gottheit, die das Spielende und Zarte, ſo wie das Majeſtaͤtiſche und Hohe in ſich vereinte, und ſelber ſich in tauſend Geſtalten huͤllte, konnte die Phantaſie noch frei in kuͤhnen Bildern ſcherzen; ſie durfte ſich mit an die goldne Kette
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„ſeinem unſterblichen Haupte, — und der Olymp
„erbebt. —“
Bei dem aͤlteſten Dichter ſpricht Jupiter ſel-
ber, indem er den uͤbrigen Goͤttern drohet, auf
folgende Weiſe, die Macht ſeines Weſens aus:
Eine goldne Kette will ich aus meiner Hand vom
Himmel zur Erde ſenken; verſucht es, all’ ihr
Goͤtter und Goͤttinnen, und haͤngt das Gewicht
eurer ganzen vereinten Macht an dieſe Kette; es
wird euch nicht gelingen, den hoͤchſten Jupiter
vom Himmel zur Erde herabzuziehen; dieſer aber
wird die Kette, mit leichter Hand, und mit ihr
Erd’ und Meer gen Himmel heben, und ſie
an ſeinem hohen Sitz befeſtigen, daß die
Welt an ihr ſchwebend haͤngt.
Hieraus erhellet deutlich, daß man ſich zu
dem erhabenſten Begriff vom Jupiter das umge-
bende Ganze ſelber als Urbild dachte. — Da
ſich nun in dem Begriff dieſer Umgebung alles
veredelt; was Wunder denn, daß man die Hel-
den, deren Erzeuger man nicht wußte, Soͤhne
des Jupiter nannte, der in taͤuſchenden Verwand-
lungen ſie mit ihren Muͤttern erzeugte. —
Denn mit dieſer Gottheit, die das Spielende
und Zarte, ſo wie das Majeſtaͤtiſche und Hohe in ſich
vereinte, und ſelber ſich in tauſend Geſtalten huͤllte,
konnte die Phantaſie noch frei in kuͤhnen Bildern
ſcherzen; ſie durfte ſich mit an die goldne Kette
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/130>, abgerufen am 27.11.2024.
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