Der Gott der Schönheit und Jugend, den Saitenspiel und Gesang erfreut, trägt auch den Köcher auf seiner Schulter, spannt den silber- nen Bogen, und sendet zürnend seine Pfeile, daß sie verderbliche Seuchen bringen, oder er tödtet auch mit sanftem Geschoß die Menschen.
Unter den Dichtungen der Alten ist diese eine der erhabensten und liebenswürdigsten, weil sie selbst den Begriff der Zerstörung, ohne davor zu- rückzubeben, in den Begriff der Jugend und Schönheit wieder auflößt, und auf die Weise dem ganz Entgegengesetzten dennoch einen harmoni- schen Einklang giebt.
Daher scheint auch die bildende Kunst der Alten in der schönsten Darstellung vom Apollo, die unsre Zeiten noch besitzen, ein Ideal von Schönheit erreicht zu haben, die alles Uebrige in sich faßt, und deren Anblick, wegen des unend- lich Mannichfaltigen, was sie in sich begreift, die Seele mit Staunen erfüllt.
Apollo und Diana sind die verschwisterten To- desgötter, -- sie theilen sich in die Gattung: -- Jener nimmt sich den Mann, und diese das Weib zum Ziele; und wen das Alter beschleicht, den tödten sie mit sanftem Pfeil; damit die Gattung sich in ewiger Jugend erhalte, wäh- rend daß Bildung und Zerstörung immer gleichen Schritt hält.
Der Gott der Schoͤnheit und Jugend, den Saitenſpiel und Geſang erfreut, traͤgt auch den Koͤcher auf ſeiner Schulter, ſpannt den ſilber- nen Bogen, und ſendet zuͤrnend ſeine Pfeile, daß ſie verderbliche Seuchen bringen, oder er toͤdtet auch mit ſanftem Geſchoß die Menſchen.
Unter den Dichtungen der Alten iſt dieſe eine der erhabenſten und liebenswuͤrdigſten, weil ſie ſelbſt den Begriff der Zerſtoͤrung, ohne davor zu- ruͤckzubeben, in den Begriff der Jugend und Schoͤnheit wieder aufloͤßt, und auf die Weiſe dem ganz Entgegengeſetzten dennoch einen harmoni- ſchen Einklang giebt.
Daher ſcheint auch die bildende Kunſt der Alten in der ſchoͤnſten Darſtellung vom Apollo, die unſre Zeiten noch beſitzen, ein Ideal von Schoͤnheit erreicht zu haben, die alles Uebrige in ſich faßt, und deren Anblick, wegen des unend- lich Mannichfaltigen, was ſie in ſich begreift, die Seele mit Staunen erfuͤllt.
Apollo und Diana ſind die verſchwiſterten To- desgoͤtter, — ſie theilen ſich in die Gattung: — Jener nimmt ſich den Mann, und dieſe das Weib zum Ziele; und wen das Alter beſchleicht, den toͤdten ſie mit ſanftem Pfeil; damit die Gattung ſich in ewiger Jugend erhalte, waͤh- rend daß Bildung und Zerſtoͤrung immer gleichen Schritt haͤlt.
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Der Gott der Schoͤnheit und Jugend, den
Saitenſpiel und Geſang erfreut, traͤgt auch
den Koͤcher auf ſeiner Schulter, ſpannt den ſilber-
nen Bogen, und ſendet zuͤrnend ſeine Pfeile, daß ſie
verderbliche Seuchen bringen, oder er toͤdtet auch
mit ſanftem Geſchoß die Menſchen.
Unter den Dichtungen der Alten iſt dieſe eine
der erhabenſten und liebenswuͤrdigſten, weil ſie
ſelbſt den Begriff der Zerſtoͤrung, ohne davor zu-
ruͤckzubeben, in den Begriff der Jugend und
Schoͤnheit wieder aufloͤßt, und auf die Weiſe dem
ganz Entgegengeſetzten dennoch einen harmoni-
ſchen Einklang giebt.
Daher ſcheint auch die bildende Kunſt der
Alten in der ſchoͤnſten Darſtellung vom Apollo,
die unſre Zeiten noch beſitzen, ein Ideal von
Schoͤnheit erreicht zu haben, die alles Uebrige in
ſich faßt, und deren Anblick, wegen des unend-
lich Mannichfaltigen, was ſie in ſich begreift, die
Seele mit Staunen erfuͤllt.
Apollo und Diana ſind die verſchwiſterten To-
desgoͤtter, — ſie theilen ſich in die Gattung: —
Jener nimmt ſich den Mann, und dieſe das
Weib zum Ziele; und wen das Alter beſchleicht,
den toͤdten ſie mit ſanftem Pfeil; damit die
Gattung ſich in ewiger Jugend erhalte, waͤh-
rend daß Bildung und Zerſtoͤrung immer gleichen
Schritt haͤlt.
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/140>, abgerufen am 23.11.2024.
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