Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

den Stiere loßzulassen, stand alles stumm und
schweigend auf den Ausgang harrend. --

Wild und schnaubend stürzten die Stiere auf
den Helden loß, allein die Zauberkraft, womit
Medea ihn begabt hatte, machte sie plötzlich zahm;
sie beugten willig ihren Nacken unter das Joch,
indem sie Jason an den Pflug spannte, und auf
dem Felde des Mars die Furchen zog, worin
er die Zähne des Drachen säte.

Als nun plötzlich die Saat der geharnischten
Männer aus dem Boden keimte, die alle ihre
Schwerdter gegen den Jason kehrten, so warf
dieser in ihre Mitte den bezaubernden Kieselstein,
der ihre Herzen verhärtete, daß sie mit wechselsei-
tiger Wuth sich selbst aufrieben, und mit ihren
todten Körpern den Boden deckten, woraus sie
kaum erst entsprossen waren.

Ehe noch der König und das Volk von seinem
Erstaunen sich erhohlte, eilte Jason schon, den
Drachen einzuschläfern; er tödtete das Ungeheuer,
und triumphirend hielt seine Rechte das goldne
Fließ empor. -- Siegreich kehrte er nun mit seinen
Gefährten in sein Schiff zurück. Heimlich in
nächtlicher Stille ihres Vaters Haus verlassend,
um ihrem Geliebten nachzufolgen, begab sich
Medea auf das Schiff, das in der Nacht noch
unter Segel ging.

den Stiere loßzulaſſen, ſtand alles ſtumm und
ſchweigend auf den Ausgang harrend. —

Wild und ſchnaubend ſtuͤrzten die Stiere auf
den Helden loß, allein die Zauberkraft, womit
Medea ihn begabt hatte, machte ſie ploͤtzlich zahm;
ſie beugten willig ihren Nacken unter das Joch,
indem ſie Jaſon an den Pflug ſpannte, und auf
dem Felde des Mars die Furchen zog, worin
er die Zaͤhne des Drachen ſaͤte.

Als nun ploͤtzlich die Saat der geharniſchten
Maͤnner aus dem Boden keimte, die alle ihre
Schwerdter gegen den Jaſon kehrten, ſo warf
dieſer in ihre Mitte den bezaubernden Kieſelſtein,
der ihre Herzen verhaͤrtete, daß ſie mit wechſelſei-
tiger Wuth ſich ſelbſt aufrieben, und mit ihren
todten Koͤrpern den Boden deckten, woraus ſie
kaum erſt entſproſſen waren.

Ehe noch der Koͤnig und das Volk von ſeinem
Erſtaunen ſich erhohlte, eilte Jaſon ſchon, den
Drachen einzuſchlaͤfern; er toͤdtete das Ungeheuer,
und triumphirend hielt ſeine Rechte das goldne
Fließ empor. — Siegreich kehrte er nun mit ſeinen
Gefaͤhrten in ſein Schiff zuruͤck. Heimlich in
naͤchtlicher Stille ihres Vaters Haus verlaſſend,
um ihrem Geliebten nachzufolgen, begab ſich
Medea auf das Schiff, das in der Nacht noch
unter Segel ging.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0324" n="270"/>
den Stiere loßzula&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;tand alles &#x017F;tumm und<lb/>
&#x017F;chweigend auf den Ausgang harrend. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Wild und &#x017F;chnaubend &#x017F;tu&#x0364;rzten die Stiere auf<lb/>
den Helden loß, allein die Zauberkraft, womit<lb/>
Medea ihn begabt hatte, machte &#x017F;ie plo&#x0364;tzlich zahm;<lb/>
&#x017F;ie beugten willig ihren Nacken unter das Joch,<lb/>
indem &#x017F;ie Ja&#x017F;on an den Pflug &#x017F;pannte, und auf<lb/>
dem <hi rendition="#fr">Felde des Mars</hi> die Furchen zog, worin<lb/>
er die Za&#x0364;hne des Drachen &#x017F;a&#x0364;te.</p><lb/>
          <p>Als nun plo&#x0364;tzlich die Saat der geharni&#x017F;chten<lb/>
Ma&#x0364;nner aus dem Boden keimte, die alle ihre<lb/>
Schwerdter gegen den Ja&#x017F;on kehrten, &#x017F;o warf<lb/>
die&#x017F;er in ihre Mitte den bezaubernden Kie&#x017F;el&#x017F;tein,<lb/>
der ihre Herzen verha&#x0364;rtete, daß &#x017F;ie mit wech&#x017F;el&#x017F;ei-<lb/>
tiger Wuth &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t aufrieben, und mit ihren<lb/>
todten Ko&#x0364;rpern den Boden deckten, woraus &#x017F;ie<lb/>
kaum er&#x017F;t ent&#x017F;pro&#x017F;&#x017F;en waren.</p><lb/>
          <p>Ehe noch der Ko&#x0364;nig und das Volk von &#x017F;einem<lb/>
Er&#x017F;taunen &#x017F;ich erhohlte, eilte Ja&#x017F;on &#x017F;chon, den<lb/>
Drachen einzu&#x017F;chla&#x0364;fern; er to&#x0364;dtete das Ungeheuer,<lb/>
und triumphirend hielt &#x017F;eine Rechte das goldne<lb/>
Fließ empor. &#x2014; Siegreich kehrte er nun mit &#x017F;einen<lb/>
Gefa&#x0364;hrten in &#x017F;ein Schiff zuru&#x0364;ck. Heimlich in<lb/>
na&#x0364;chtlicher Stille ihres Vaters Haus verla&#x017F;&#x017F;end,<lb/>
um ihrem Geliebten nachzufolgen, begab &#x017F;ich<lb/>
Medea auf das Schiff, das in der Nacht noch<lb/>
unter Segel ging.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[270/0324] den Stiere loßzulaſſen, ſtand alles ſtumm und ſchweigend auf den Ausgang harrend. — Wild und ſchnaubend ſtuͤrzten die Stiere auf den Helden loß, allein die Zauberkraft, womit Medea ihn begabt hatte, machte ſie ploͤtzlich zahm; ſie beugten willig ihren Nacken unter das Joch, indem ſie Jaſon an den Pflug ſpannte, und auf dem Felde des Mars die Furchen zog, worin er die Zaͤhne des Drachen ſaͤte. Als nun ploͤtzlich die Saat der geharniſchten Maͤnner aus dem Boden keimte, die alle ihre Schwerdter gegen den Jaſon kehrten, ſo warf dieſer in ihre Mitte den bezaubernden Kieſelſtein, der ihre Herzen verhaͤrtete, daß ſie mit wechſelſei- tiger Wuth ſich ſelbſt aufrieben, und mit ihren todten Koͤrpern den Boden deckten, woraus ſie kaum erſt entſproſſen waren. Ehe noch der Koͤnig und das Volk von ſeinem Erſtaunen ſich erhohlte, eilte Jaſon ſchon, den Drachen einzuſchlaͤfern; er toͤdtete das Ungeheuer, und triumphirend hielt ſeine Rechte das goldne Fließ empor. — Siegreich kehrte er nun mit ſeinen Gefaͤhrten in ſein Schiff zuruͤck. Heimlich in naͤchtlicher Stille ihres Vaters Haus verlaſſend, um ihrem Geliebten nachzufolgen, begab ſich Medea auf das Schiff, das in der Nacht noch unter Segel ging.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/324
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/324>, abgerufen am 26.11.2024.