So oft er aber allein die Spur der reißenden und gefährlichen Thiere verfolgte, warnete sie ihn jedesmal, wenn er von ihr ging, sein ihr so theu- res Leben nicht in Gefahr zu setzen. -- Allein bei dem jungen Adonis überwand sein kühner Muth die Zärtlichkeit, -- er folgte der Warnung der Göttin nicht.
Schon schwebte sein schwarzes Verhängniß über ihm; -- er stieß auf einen ergrimmten Eber; -- schoß vergebens seinen Jagdspieß ab; -- schon senkte des Ebers weißer Zahn sich in des Jünglings Hüfte. -- Häufiges Blut ent- strömte der Wunde, und Venus, welche schon mit Angst und Zagen ahndungsvoll ihren Liebling suchte, fand ihn erblaßt in seinem Blute liegend.
Vergebens suchte sie ihn ins Leben zurückzu- rufen, und klagte zürnend das Schicksal an. -- Allmälig verwandelte ihre Verzweiflung sich in sanftre Traurigkeit; -- sie ließ aus ihres Lieblings Asche die Anemone entsprießen, und gab ihm dadurch eine Art von Unsterblichkeit. --
Dem Adonis wurde ein Fest gefeiert, wo die Weiber seinen Tod beklagten, und indem sie Körbe mit Blumen ins Wasser stürzten, des Le- bens kurze Blüthe beweinten. -- Es scheint, als ob die Klage um den Adonis, welche im Orient allgemein war, sich auf noch eine weit ältere Dich- tung gründe, die in diese Einkleidung der neuern griechischen Fabel sich gehüllt hat.
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So oft er aber allein die Spur der reißenden und gefaͤhrlichen Thiere verfolgte, warnete ſie ihn jedesmal, wenn er von ihr ging, ſein ihr ſo theu- res Leben nicht in Gefahr zu ſetzen. — Allein bei dem jungen Adonis uͤberwand ſein kuͤhner Muth die Zaͤrtlichkeit, — er folgte der Warnung der Goͤttin nicht.
Schon ſchwebte ſein ſchwarzes Verhaͤngniß uͤber ihm; — er ſtieß auf einen ergrimmten Eber; — ſchoß vergebens ſeinen Jagdſpieß ab; — ſchon ſenkte des Ebers weißer Zahn ſich in des Juͤnglings Huͤfte. — Haͤufiges Blut ent- ſtroͤmte der Wunde, und Venus, welche ſchon mit Angſt und Zagen ahndungsvoll ihren Liebling ſuchte, fand ihn erblaßt in ſeinem Blute liegend.
Vergebens ſuchte ſie ihn ins Leben zuruͤckzu- rufen, und klagte zuͤrnend das Schickſal an. — Allmaͤlig verwandelte ihre Verzweiflung ſich in ſanftre Traurigkeit; — ſie ließ aus ihres Lieblings Aſche die Anemone entſprießen, und gab ihm dadurch eine Art von Unſterblichkeit. —
Dem Adonis wurde ein Feſt gefeiert, wo die Weiber ſeinen Tod beklagten, und indem ſie Koͤrbe mit Blumen ins Waſſer ſtuͤrzten, des Le- bens kurze Bluͤthe beweinten. — Es ſcheint, als ob die Klage um den Adonis, welche im Orient allgemein war, ſich auf noch eine weit aͤltere Dich- tung gruͤnde, die in dieſe Einkleidung der neuern griechiſchen Fabel ſich gehuͤllt hat.
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So oft er aber allein die Spur der reißenden
und gefaͤhrlichen Thiere verfolgte, warnete ſie ihn
jedesmal, wenn er von ihr ging, ſein ihr ſo theu-
res Leben nicht in Gefahr zu ſetzen. — Allein bei
dem jungen Adonis uͤberwand ſein kuͤhner Muth
die Zaͤrtlichkeit, — er folgte der Warnung der
Goͤttin nicht.
Schon ſchwebte ſein ſchwarzes Verhaͤngniß
uͤber ihm; — er ſtieß auf einen ergrimmten
Eber; — ſchoß vergebens ſeinen Jagdſpieß
ab; — ſchon ſenkte des Ebers weißer Zahn ſich
in des Juͤnglings Huͤfte. — Haͤufiges Blut ent-
ſtroͤmte der Wunde, und Venus, welche ſchon
mit Angſt und Zagen ahndungsvoll ihren Liebling
ſuchte, fand ihn erblaßt in ſeinem Blute liegend.
Vergebens ſuchte ſie ihn ins Leben zuruͤckzu-
rufen, und klagte zuͤrnend das Schickſal an. —
Allmaͤlig verwandelte ihre Verzweiflung ſich in
ſanftre Traurigkeit; — ſie ließ aus ihres Lieblings
Aſche die Anemone entſprießen, und gab ihm
dadurch eine Art von Unſterblichkeit. —
Dem Adonis wurde ein Feſt gefeiert, wo die
Weiber ſeinen Tod beklagten, und indem ſie
Koͤrbe mit Blumen ins Waſſer ſtuͤrzten, des Le-
bens kurze Bluͤthe beweinten. — Es ſcheint, als
ob die Klage um den Adonis, welche im Orient
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/405>, abgerufen am 01.11.2024.
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