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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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die übrigen von ihr ausgestreueten Mohnstengel
aufzulesen.

Man sieht, wie die Alten das Dunkle und
Furchtbare in reitzende Bilder einkleideten; und
wie sie demohngeachtet für das höchste Tragische
empfänglich waren, indem sie sich unter dem von
der Nacht gebohrnen unvermeidlichen Schicksal
oder dem Fatum das Höhere Obwaltende dach-
ten, dessen altes Reich, und dessen dunkle Pläne
weit außer dem menschlichen Gesichtskreise liegen;

Dessen Spuren man in dem vielfältigen Jam-
mer laß, der die Menschheit drückt; indem man
das Unbekannte ahndete, unter dessen Macht
die untergeordneten Kräfte sich beugen müssen
und ein wunderbares Gefallen selbst an der Da-
stellung schrecklicher Ereignisse, und verwüsten[ - 1 Zeichen fehlt]
Zerstörung fand, indem die Einbildungskraft n[ - 1 Zeichen fehlt]
Vergnügen sich in das Gebiet der Nacht und [ - 2 Zeichen fehlen]
öden Schattenwelt verirrte.

Demohngeachtet stellt sich uns in den schön[en]
Dichtungen der Alten kein einziges ganz hassen[s]
und verabscheuungswürdiges Wesen dar. -- Die
unerbittlichen Parzen, welche die Nacht gebohren
hat, und selbst die rächerischen Furien, sind im-
mer noch ein Gegenstand der Verehrung der
Sterblichen.

Selbst die Sorgen und der drückende Kum-
mer gehören in der Vorstellungsart der Alten mit

die uͤbrigen von ihr ausgeſtreueten Mohnſtengel
aufzuleſen.

Man ſieht, wie die Alten das Dunkle und
Furchtbare in reitzende Bilder einkleideten; und
wie ſie demohngeachtet fuͤr das hoͤchſte Tragiſche
empfaͤnglich waren, indem ſie ſich unter dem von
der Nacht gebohrnen unvermeidlichen Schickſal
oder dem Fatum das Hoͤhere Obwaltende dach-
ten, deſſen altes Reich, und deſſen dunkle Plaͤne
weit außer dem menſchlichen Geſichtskreiſe liegen;

Deſſen Spuren man in dem vielfaͤltigen Jam-
mer laß, der die Menſchheit druͤckt; indem man
das Unbekannte ahndete, unter deſſen Macht
die untergeordneten Kraͤfte ſich beugen muͤſſen
und ein wunderbares Gefallen ſelbſt an der Da-
ſtellung ſchrecklicher Ereigniſſe, und verwuͤſten[ – 1 Zeichen fehlt]
Zerſtoͤrung fand, indem die Einbildungskraft n[ – 1 Zeichen fehlt]
Vergnuͤgen ſich in das Gebiet der Nacht und [ – 2 Zeichen fehlen]
oͤden Schattenwelt verirrte.

Demohngeachtet ſtellt ſich uns in den ſchoͤn[en]
Dichtungen der Alten kein einziges ganz haſſen[s]
und verabſcheuungswuͤrdiges Weſen dar. — Die
unerbittlichen Parzen, welche die Nacht gebohren
hat, und ſelbſt die raͤcheriſchen Furien, ſind im-
mer noch ein Gegenſtand der Verehrung der
Sterblichen.

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[47/0071] die uͤbrigen von ihr ausgeſtreueten Mohnſtengel aufzuleſen. Man ſieht, wie die Alten das Dunkle und Furchtbare in reitzende Bilder einkleideten; und wie ſie demohngeachtet fuͤr das hoͤchſte Tragiſche empfaͤnglich waren, indem ſie ſich unter dem von der Nacht gebohrnen unvermeidlichen Schickſal oder dem Fatum das Hoͤhere Obwaltende dach- ten, deſſen altes Reich, und deſſen dunkle Plaͤne weit außer dem menſchlichen Geſichtskreiſe liegen; Deſſen Spuren man in dem vielfaͤltigen Jam- mer laß, der die Menſchheit druͤckt; indem man das Unbekannte ahndete, unter deſſen Macht die untergeordneten Kraͤfte ſich beugen muͤſſen und ein wunderbares Gefallen ſelbſt an der Da- ſtellung ſchrecklicher Ereigniſſe, und verwuͤſten_ Zerſtoͤrung fand, indem die Einbildungskraft n_ Vergnuͤgen ſich in das Gebiet der Nacht und __ oͤden Schattenwelt verirrte. Demohngeachtet ſtellt ſich uns in den ſchoͤnen Dichtungen der Alten kein einziges ganz haſſens und verabſcheuungswuͤrdiges Weſen dar. — Die unerbittlichen Parzen, welche die Nacht gebohren hat, und ſelbſt die raͤcheriſchen Furien, ſind im- mer noch ein Gegenſtand der Verehrung der Sterblichen. Selbſt die Sorgen und der druͤckende Kum- mer gehoͤren in der Vorſtellungsart der Alten mit

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/71>, abgerufen am 21.11.2024.