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Moritz, Karl Philipp: Über die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig, 1788.

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Jeder Theil eines Ganzen muss auf die Weise mehr
oder weniger Beziehung auf das Ganze selbst haben:
das Ganze, als Ganzes betrachtet, hingegen, braucht
weiter keine Beziehung auf irgend etwas ausser sich
zu haben. So muss jeder Bürger eines Staats eine ge¬
wisse Beziehung auf den Staat haben, oder dem Staate
nützlich seyn; der Staat selbst aber braucht in so fern
er in sich allein ein Ganzes bildet, weiter keine Be¬
ziehung auf irgend etwas ausser sich zu haben, und
braucht also auch nicht weiter nützlich zu seyn.

Hieraus sehen wir also, dass eine Sache, um nicht
nützlich seyn zu dürfen, nothwendig ein für sich be¬
stehendes Ganze seyn müsse, und dass also mit dem Be¬
griff des Schönen der Begriff von einem für sich beste¬
henden Ganzen unzertrennlich verknüpft ist. -- Dass
aber diess demohngeachtet noch nicht zum Begriff des
Schönen hinreicht, sehen wir daraus, weil wir z. B.
mit dem Begriff vom Staat, ob derselbe gleich ein für
sich bestehendes Ganze ist, dennoch den Begriff
der Schönheit nicht wohl verknüpfen können, in¬
dem derselbe in seinem ganzen Umfange, weder in
unsern äussern Sinn fällt, noch von der Einbildungs¬
kraft umfasst, sondern bloss von unserm Verstande ge¬
dacht werden kann.

Aus eben dem Grunde können wir auch mit dem
ganzen Zusammenhange der Dinge den Begriff von
Schönheit nicht eigentlich verknüpfen, eben weil dieser
Zusammenhang, in seinem ganzen Umfange, weder
in unsre Sinnen fällt, noch von unsrer Einbildungs¬

kraft

Jeder Theil eines Ganzen muſs auf die Weiſe mehr
oder weniger Beziehung auf das Ganze ſelbſt haben:
das Ganze, als Ganzes betrachtet, hingegen, braucht
weiter keine Beziehung auf irgend etwas ausſer ſich
zu haben. So muſs jeder Bürger eines Staats eine ge¬
wisſe Beziehung auf den Staat haben, oder dem Staate
nützlich ſeyn; der Staat ſelbſt aber braucht in ſo fern
er in ſich allein ein Ganzes bildet, weiter keine Be¬
ziehung auf irgend etwas ausſer ſich zu haben, und
braucht alſo auch nicht weiter nützlich zu ſeyn.

Hieraus ſehen wir alſo, daſs eine Sache, um nicht
nützlich ſeyn zu dürfen, nothwendig ein für ſich be¬
ſtehendes Ganze ſeyn müsſe, und daſs alſo mit dem Be¬
griff des Schönen der Begriff von einem für ſich beſte¬
henden Ganzen unzertrennlich verknüpft iſt. — Daſs
aber dieſs demohngeachtet noch nicht zum Begriff des
Schönen hinreicht, ſehen wir daraus, weil wir z. B.
mit dem Begriff vom Staat, ob derſelbe gleich ein für
ſich beſtehendes Ganze iſt, dennoch den Begriff
der Schönheit nicht wohl verknüpfen können, in¬
dem derſelbe in ſeinem ganzen Umfange, weder in
unſern äusſern Sinn fällt, noch von der Einbildungs¬
kraft umfaſst, ſondern bloſs von unſerm Verſtande ge¬
dacht werden kann.

Aus eben dem Grunde können wir auch mit dem
ganzen Zuſammenhange der Dinge den Begriff von
Schönheit nicht eigentlich verknüpfen, eben weil dieſer
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[16/0022] Jeder Theil eines Ganzen muſs auf die Weiſe mehr oder weniger Beziehung auf das Ganze ſelbſt haben: das Ganze, als Ganzes betrachtet, hingegen, braucht weiter keine Beziehung auf irgend etwas ausſer ſich zu haben. So muſs jeder Bürger eines Staats eine ge¬ wisſe Beziehung auf den Staat haben, oder dem Staate nützlich ſeyn; der Staat ſelbſt aber braucht in ſo fern er in ſich allein ein Ganzes bildet, weiter keine Be¬ ziehung auf irgend etwas ausſer ſich zu haben, und braucht alſo auch nicht weiter nützlich zu ſeyn. Hieraus ſehen wir alſo, daſs eine Sache, um nicht nützlich ſeyn zu dürfen, nothwendig ein für ſich be¬ ſtehendes Ganze ſeyn müsſe, und daſs alſo mit dem Be¬ griff des Schönen der Begriff von einem für ſich beſte¬ henden Ganzen unzertrennlich verknüpft iſt. — Daſs aber dieſs demohngeachtet noch nicht zum Begriff des Schönen hinreicht, ſehen wir daraus, weil wir z. B. mit dem Begriff vom Staat, ob derſelbe gleich ein für ſich beſtehendes Ganze iſt, dennoch den Begriff der Schönheit nicht wohl verknüpfen können, in¬ dem derſelbe in ſeinem ganzen Umfange, weder in unſern äusſern Sinn fällt, noch von der Einbildungs¬ kraft umfaſst, ſondern bloſs von unſerm Verſtande ge¬ dacht werden kann. Aus eben dem Grunde können wir auch mit dem ganzen Zuſammenhange der Dinge den Begriff von Schönheit nicht eigentlich verknüpfen, eben weil dieſer Zuſammenhang, in ſeinem ganzen Umfange, weder in unſre Sinnen fällt, noch von unſrer Einbildungs¬ kraft

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Über die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig, 1788, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788/22>, abgerufen am 25.04.2024.