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Moritz, Karl Philipp: Über die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig, 1788.

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Indem seine glühende Spähungskraft in das Innre
der Wesen dringt, bis auf den Quell der Schönheit
selbst, die feinsten Fugen löset; und auf der Oberfläche
sie schöner wieder fügend, ihre edle Spur in weichen
Ton eindrückt, in harten Stein sie bildet; oder auf
flachem Grunde, mit trennender Spitze die Gestalt aus
ihren Umgebungen sondert; durch kühnen Farbenan¬
strich die Masse selbst nachahmt; und durch Mischung
von Licht und Schatten die Fläche dem Auge entge¬
gen rückt.

Die Realität muss unter der Hand des bildenden
Künstlers zur Erscheinung werden; indem seine durch
den Stoff gehemmte Bildungskraft von innen, und seine
bildende Hand von aussen, auf der Oberfläche der
leblosen Masse zusammentreffen, und auf diese Ober¬
fläche nun alles das hinübertragen, was sonst gröss¬
tentheils vor unsern Augen sich in die Hülle der Exi¬
stenz verbirgt, die durch sich selbst schon jede Er¬
scheinung aufwiegt.

Von dem reellen und vollendeten Schönen also, was
unmittelbar sich selten entwickeln kann, schuf die Na¬
tur doch mittelbar den Wiederschein durch Wesen in
denen sich ihr Bild so lebhaft abdrückte, dass es sich
ihr selber in ihre eigene Schöpfung wieder entgegen¬
warf. -- Und so brachte sie, durch diesen verdop¬
pelten Wiederschein sich in sich selber spiegelnd, über
ihrer Realität schwebend und gauckelnd, ein Blend¬
werk hervor, das für ein sterbliches Auge noch rei¬
zender, als sie selber ist.

Und

Indem ſeine glühende Spähungskraft in das Innre
der Weſen dringt, bis auf den Quell der Schönheit
ſelbſt, die feinſten Fugen löſet; und auf der Oberfläche
ſie ſchöner wieder fügend, ihre edle Spur in weichen
Ton eindrückt, in harten Stein ſie bildet; oder auf
flachem Grunde, mit trennender Spitze die Geſtalt aus
ihren Umgebungen ſondert; durch kühnen Farbenan¬
ſtrich die Masſe ſelbſt nachahmt; und durch Miſchung
von Licht und Schatten die Fläche dem Auge entge¬
gen rückt.

Die Realität muſs unter der Hand des bildenden
Künſtlers zur Erſcheinung werden; indem ſeine durch
den Stoff gehemmte Bildungskraft von innen, und ſeine
bildende Hand von ausſen, auf der Oberfläche der
lebloſen Masſe zuſammentreffen, und auf dieſe Ober¬
fläche nun alles das hinübertragen, was ſonſt gröſs¬
tentheils vor unſern Augen ſich in die Hülle der Exi¬
ſtenz verbirgt, die durch ſich ſelbſt ſchon jede Er¬
ſcheinung aufwiegt.

Von dem reellen und vollendeten Schönen alſo, was
unmittelbar ſich ſelten entwickeln kann, ſchuf die Na¬
tur doch mittelbar den Wiederſchein durch Weſen in
denen ſich ihr Bild ſo lebhaft abdrückte, daſs es ſich
ihr ſelber in ihre eigene Schöpfung wieder entgegen¬
warf. — Und ſo brachte ſie, durch dieſen verdop¬
pelten Wiederſchein ſich in ſich ſelber ſpiegelnd, über
ihrer Realität ſchwebend und gauckelnd, ein Blend¬
werk hervor, das für ein ſterbliches Auge noch rei¬
zender, als ſie ſelber iſt.

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[20/0026] Indem ſeine glühende Spähungskraft in das Innre der Weſen dringt, bis auf den Quell der Schönheit ſelbſt, die feinſten Fugen löſet; und auf der Oberfläche ſie ſchöner wieder fügend, ihre edle Spur in weichen Ton eindrückt, in harten Stein ſie bildet; oder auf flachem Grunde, mit trennender Spitze die Geſtalt aus ihren Umgebungen ſondert; durch kühnen Farbenan¬ ſtrich die Masſe ſelbſt nachahmt; und durch Miſchung von Licht und Schatten die Fläche dem Auge entge¬ gen rückt. Die Realität muſs unter der Hand des bildenden Künſtlers zur Erſcheinung werden; indem ſeine durch den Stoff gehemmte Bildungskraft von innen, und ſeine bildende Hand von ausſen, auf der Oberfläche der lebloſen Masſe zuſammentreffen, und auf dieſe Ober¬ fläche nun alles das hinübertragen, was ſonſt gröſs¬ tentheils vor unſern Augen ſich in die Hülle der Exi¬ ſtenz verbirgt, die durch ſich ſelbſt ſchon jede Er¬ ſcheinung aufwiegt. Von dem reellen und vollendeten Schönen alſo, was unmittelbar ſich ſelten entwickeln kann, ſchuf die Na¬ tur doch mittelbar den Wiederſchein durch Weſen in denen ſich ihr Bild ſo lebhaft abdrückte, daſs es ſich ihr ſelber in ihre eigene Schöpfung wieder entgegen¬ warf. — Und ſo brachte ſie, durch dieſen verdop¬ pelten Wiederſchein ſich in ſich ſelber ſpiegelnd, über ihrer Realität ſchwebend und gauckelnd, ein Blend¬ werk hervor, das für ein ſterbliches Auge noch rei¬ zender, als ſie ſelber iſt. Und

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Über die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig, 1788, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788/26>, abgerufen am 23.04.2024.