Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Über die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

um alle ihre grossen Verhältnisse vollständig im Klei¬
nen abzuspiegeln, und uns noch ein Punkt zum völli¬
gen Schluss des Zirkels fehlt; so können wir statt der
Bildungskraft nur Empfindungsfähigkeit für das Schö¬
ne, haben: jeder Versuch, es ausser uns wieder dar¬
zustellen, würde uns misslingen, und uns desto un¬
zufriedner mit uns selber machen, je näher unser Em¬
pfindungsvermögen für das Schöne an das uns man¬
gelnde Bildungsvermögen grenzt.

Weil nämlich das Wesen des Schönen eben in sei¬
ner Vollendung in sich selbst besteht, so schadet ihm
der letzte fehlende Punkt, so viel als tausend, denn
er verrückt alle übrigen Punkte aus der Stelle, in wel¬
che sie gehören. -- Und ist dieser Vollendungs¬
punkt einmal verfehlt, so verlohnt ein Werk der
Kunst der Mühe des Anfangs und der Zeit seines Wer¬
dens nicht; es fällt unter das schlechte bis zum Un¬
nützen herab, und sein Daseyn muss nothwendig durch
die Vergessenheit, worinn es sinkt, sich wieder auf¬
heben.

Eben so schadet auch dem in das feinere Gewebe
der Organisation gepflanzten Bildungsvermögen, der
letzte zu seiner Vollständigkeit fehlende Punkt, soviel
als tausend. -- Den höchsten Werth, den es als
Empfindungsvermögen haben könnte, kömmt bei ihm,
als Bildungskraft, eben so wenig wie der geringste,
in Betrachtung. Auf dem Punkte, wo das Empfin¬
dungsvermögen seine Grenzen überschreitet, muss es

noth¬

um alle ihre grosſen Verhältnisſe vollſtändig im Klei¬
nen abzuſpiegeln, und uns noch ein Punkt zum völli¬
gen Schluſs des Zirkels fehlt; ſo können wir ſtatt der
Bildungskraft nur Empfindungsfähigkeit für das Schö¬
ne, haben: jeder Verſuch, es ausſer uns wieder dar¬
zuſtellen, würde uns miſslingen, und uns deſto un¬
zufriedner mit uns ſelber machen, je näher unſer Em¬
pfindungsvermögen für das Schöne an das uns man¬
gelnde Bildungsvermögen grenzt.

Weil nämlich das Weſen des Schönen eben in ſei¬
ner Vollendung in ſich ſelbſt beſteht, ſo ſchadet ihm
der letzte fehlende Punkt, ſo viel als tauſend, denn
er verrückt alle übrigen Punkte aus der Stelle, in wel¬
che ſie gehören. — Und iſt dieſer Vollendungs¬
punkt einmal verfehlt, ſo verlohnt ein Werk der
Kunſt der Mühe des Anfangs und der Zeit ſeines Wer¬
dens nicht; es fällt unter das ſchlechte bis zum Un¬
nützen herab, und ſein Daſeyn muſs nothwendig durch
die Vergesſenheit, worinn es ſinkt, ſich wieder auf¬
heben.

Eben ſo ſchadet auch dem in das feinere Gewebe
der Organiſation gepflanzten Bildungsvermögen, der
letzte zu ſeiner Vollſtändigkeit fehlende Punkt, ſoviel
als tauſend. — Den höchſten Werth, den es als
Empfindungsvermögen haben könnte, kömmt bei ihm,
als Bildungskraft, eben ſo wenig wie der geringſte,
in Betrachtung. Auf dem Punkte, wo das Empfin¬
dungsvermögen ſeine Grenzen überſchreitet, muſs es

noth¬
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0034" n="28"/>
um alle ihre gros&#x017F;en Verhältnis&#x017F;e voll&#x017F;tändig im Klei¬<lb/>
nen abzu&#x017F;piegeln, und uns noch ein Punkt zum völli¬<lb/>
gen Schlu&#x017F;s des Zirkels fehlt; &#x017F;o können wir &#x017F;tatt der<lb/>
Bildungskraft nur Empfindungsfähigkeit für das Schö¬<lb/>
ne, haben: jeder Ver&#x017F;uch, es aus&#x017F;er uns wieder dar¬<lb/>
zu&#x017F;tellen, würde uns mi&#x017F;slingen, und uns de&#x017F;to un¬<lb/>
zufriedner mit uns &#x017F;elber machen, je näher un&#x017F;er Em¬<lb/>
pfindungsvermögen für das Schöne an das uns man¬<lb/>
gelnde Bildungsvermögen grenzt.</p><lb/>
      <p>Weil nämlich das We&#x017F;en des Schönen eben in &#x017F;ei¬<lb/>
ner Vollendung in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t be&#x017F;teht, &#x017F;o &#x017F;chadet ihm<lb/>
der letzte fehlende Punkt, &#x017F;o viel als tau&#x017F;end, denn<lb/>
er verrückt alle übrigen Punkte aus der Stelle, in wel¬<lb/>
che &#x017F;ie gehören. &#x2014; Und i&#x017F;t die&#x017F;er Vollendungs¬<lb/>
punkt einmal verfehlt, &#x017F;o verlohnt ein Werk der<lb/>
Kun&#x017F;t der Mühe des Anfangs und der Zeit &#x017F;eines Wer¬<lb/>
dens nicht; es fällt unter das &#x017F;chlechte bis zum Un¬<lb/>
nützen herab, und &#x017F;ein Da&#x017F;eyn mu&#x017F;s nothwendig durch<lb/>
die Verges&#x017F;enheit, worinn es &#x017F;inkt, &#x017F;ich wieder auf¬<lb/>
heben.</p><lb/>
      <p>Eben &#x017F;o &#x017F;chadet auch dem in das feinere Gewebe<lb/>
der Organi&#x017F;ation gepflanzten Bildungsvermögen, der<lb/>
letzte zu &#x017F;einer Voll&#x017F;tändigkeit fehlende Punkt, &#x017F;oviel<lb/>
als tau&#x017F;end. &#x2014; Den höch&#x017F;ten Werth, den es als<lb/>
Empfindungsvermögen haben könnte, kömmt bei ihm,<lb/>
als Bildungskraft, eben &#x017F;o wenig wie der gering&#x017F;te,<lb/>
in Betrachtung. Auf dem Punkte, wo das Empfin¬<lb/>
dungsvermögen &#x017F;eine Grenzen über&#x017F;chreitet, mu&#x017F;s es<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">noth¬<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0034] um alle ihre grosſen Verhältnisſe vollſtändig im Klei¬ nen abzuſpiegeln, und uns noch ein Punkt zum völli¬ gen Schluſs des Zirkels fehlt; ſo können wir ſtatt der Bildungskraft nur Empfindungsfähigkeit für das Schö¬ ne, haben: jeder Verſuch, es ausſer uns wieder dar¬ zuſtellen, würde uns miſslingen, und uns deſto un¬ zufriedner mit uns ſelber machen, je näher unſer Em¬ pfindungsvermögen für das Schöne an das uns man¬ gelnde Bildungsvermögen grenzt. Weil nämlich das Weſen des Schönen eben in ſei¬ ner Vollendung in ſich ſelbſt beſteht, ſo ſchadet ihm der letzte fehlende Punkt, ſo viel als tauſend, denn er verrückt alle übrigen Punkte aus der Stelle, in wel¬ che ſie gehören. — Und iſt dieſer Vollendungs¬ punkt einmal verfehlt, ſo verlohnt ein Werk der Kunſt der Mühe des Anfangs und der Zeit ſeines Wer¬ dens nicht; es fällt unter das ſchlechte bis zum Un¬ nützen herab, und ſein Daſeyn muſs nothwendig durch die Vergesſenheit, worinn es ſinkt, ſich wieder auf¬ heben. Eben ſo ſchadet auch dem in das feinere Gewebe der Organiſation gepflanzten Bildungsvermögen, der letzte zu ſeiner Vollſtändigkeit fehlende Punkt, ſoviel als tauſend. — Den höchſten Werth, den es als Empfindungsvermögen haben könnte, kömmt bei ihm, als Bildungskraft, eben ſo wenig wie der geringſte, in Betrachtung. Auf dem Punkte, wo das Empfin¬ dungsvermögen ſeine Grenzen überſchreitet, muſs es noth¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788/34
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Über die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig, 1788, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788/34>, abgerufen am 27.04.2024.