Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Über die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

Und weil wir diese Zerstöhrung mit der individuel¬
len Schönheit, durch welche sie unmittelbar bewirkt
wird, uns zusammen denken:

So giebt das Schöne, in welches die Zerstöhrung
selbst sich wieder auflösst, uns gleichsam ein Vorge¬
fühl von jener grossen Harmonie, in welche Bildung
und Zerstöhrung einst Hand in Hand, hinüber gehn.

Und die immerwährende Zerstöhrung des Schwä¬
chern durch das Stärkre, und des Unvollkommnern
durch das Vollkommnere, scheint uns in eben dem
Maasse, wie die unaufhörliche Bildung des Unvoll¬
kommnern zum Vollkommern, dem ewigen Schönen
nachzuahmen, das, über Zerstöhrung und Bildung
selbst erhaben, in der Himmelswölbung und auf der
stillen Meeresfläche ruhend, sich uns am reinsten dar¬
stellt. --

Allein unser Begriff des Schönen verliert sich zu¬
letzt doch immer wieder in den Begriff der Nachah¬
mung von etwas, worinn das Vollendete sich wieder
zu vollenden, und unser eignes Wesen, in jeder Aeuss¬
rung seines Daseyns, uns unbewusst, sich aufzulösen
strebt.

Wo nun die Auflösung eines Wesens unsrer Art,
an unmittelbarsten durch die schönen Verhältnisse des
Ganzen selbst bewirkt wird, und in der edelsten Bil¬

dung

Und weil wir dieſe Zerſtöhrung mit der individuel¬
len Schönheit, durch welche ſie unmittelbar bewirkt
wird, uns zuſammen denken:

So giebt das Schöne, in welches die Zerſtöhrung
ſelbſt ſich wieder auflöſst, uns gleichſam ein Vorge¬
fühl von jener grosſen Harmonie, in welche Bildung
und Zerſtöhrung einſt Hand in Hand, hinüber gehn.

Und die immerwährende Zerſtöhrung des Schwä¬
chern durch das Stärkre, und des Unvollkommnern
durch das Vollkommnere, ſcheint uns in eben dem
Maasſe, wie die unaufhörliche Bildung des Unvoll¬
kommnern zum Vollkommern, dem ewigen Schönen
nachzuahmen, das, über Zerſtöhrung und Bildung
ſelbſt erhaben, in der Himmelswölbung und auf der
ſtillen Meeresfläche ruhend, ſich uns am reinſten dar¬
ſtellt. —

Allein unſer Begriff des Schönen verliert ſich zu¬
letzt doch immer wieder in den Begriff der Nachah¬
mung von etwas, worinn das Vollendete ſich wieder
zu vollenden, und unſer eignes Weſen, in jeder Aeuſs¬
rung ſeines Daſeyns, uns unbewuſst, ſich aufzulöſen
ſtrebt.

Wo nun die Auflöſung eines Weſens unſrer Art,
an unmittelbarſten durch die ſchönen Verhältnisſe des
Ganzen ſelbſt bewirkt wird, und in der edelſten Bil¬

dung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0056" n="30"/>
      <p>Und weil wir die&#x017F;e Zer&#x017F;töhrung mit der individuel¬<lb/>
len Schönheit, durch welche &#x017F;ie unmittelbar bewirkt<lb/>
wird, uns zu&#x017F;ammen denken:</p><lb/>
      <p>So giebt das Schöne, in welches die Zer&#x017F;töhrung<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ich wieder auflö&#x017F;st, uns gleich&#x017F;am ein Vorge¬<lb/>
fühl von jener gros&#x017F;en Harmonie, in welche Bildung<lb/>
und Zer&#x017F;töhrung ein&#x017F;t Hand in Hand, hinüber gehn.</p><lb/>
      <p>Und die immerwährende Zer&#x017F;töhrung des Schwä¬<lb/>
chern durch das Stärkre, und des Unvollkommnern<lb/>
durch das Vollkommnere, &#x017F;cheint uns in eben dem<lb/>
Maas&#x017F;e, wie die unaufhörliche Bildung des Unvoll¬<lb/>
kommnern zum Vollkommern, dem ewigen Schönen<lb/>
nachzuahmen, das, über Zer&#x017F;töhrung und Bildung<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t erhaben, in der Himmelswölbung und auf der<lb/>
&#x017F;tillen Meeresfläche ruhend, &#x017F;ich uns am rein&#x017F;ten dar¬<lb/>
&#x017F;tellt. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Allein un&#x017F;er Begriff des Schönen verliert &#x017F;ich zu¬<lb/>
letzt doch immer wieder in den Begriff der Nachah¬<lb/>
mung von etwas, worinn das Vollendete &#x017F;ich wieder<lb/>
zu vollenden, und un&#x017F;er eignes We&#x017F;en, in jeder Aeu&#x017F;<lb/>
rung &#x017F;eines Da&#x017F;eyns, uns unbewu&#x017F;st, &#x017F;ich aufzulö&#x017F;en<lb/>
&#x017F;trebt.</p><lb/>
      <p>Wo nun die Auflö&#x017F;ung eines We&#x017F;ens un&#x017F;rer Art,<lb/>
an unmittelbar&#x017F;ten durch die &#x017F;chönen Verhältnis&#x017F;e des<lb/>
Ganzen &#x017F;elb&#x017F;t bewirkt wird, und in der edel&#x017F;ten Bil¬<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dung<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0056] Und weil wir dieſe Zerſtöhrung mit der individuel¬ len Schönheit, durch welche ſie unmittelbar bewirkt wird, uns zuſammen denken: So giebt das Schöne, in welches die Zerſtöhrung ſelbſt ſich wieder auflöſst, uns gleichſam ein Vorge¬ fühl von jener grosſen Harmonie, in welche Bildung und Zerſtöhrung einſt Hand in Hand, hinüber gehn. Und die immerwährende Zerſtöhrung des Schwä¬ chern durch das Stärkre, und des Unvollkommnern durch das Vollkommnere, ſcheint uns in eben dem Maasſe, wie die unaufhörliche Bildung des Unvoll¬ kommnern zum Vollkommern, dem ewigen Schönen nachzuahmen, das, über Zerſtöhrung und Bildung ſelbſt erhaben, in der Himmelswölbung und auf der ſtillen Meeresfläche ruhend, ſich uns am reinſten dar¬ ſtellt. — Allein unſer Begriff des Schönen verliert ſich zu¬ letzt doch immer wieder in den Begriff der Nachah¬ mung von etwas, worinn das Vollendete ſich wieder zu vollenden, und unſer eignes Weſen, in jeder Aeuſs¬ rung ſeines Daſeyns, uns unbewuſst, ſich aufzulöſen ſtrebt. Wo nun die Auflöſung eines Weſens unſrer Art, an unmittelbarſten durch die ſchönen Verhältnisſe des Ganzen ſelbſt bewirkt wird, und in der edelſten Bil¬ dung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788/56
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Über die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig, 1788, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788/56>, abgerufen am 08.05.2024.