Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn er, wie natürlich, sich zuweilen vergaß,
und einmal, wenn er Linderung an seinem Fuße
fühlte, umher sprang oder lief, so fühlte er dar¬
über die heftigsten Gewissensbisse, und es war
ihm immer, als sey er nun schon einige Stufen
wieder zurückgekommen.

Dieses kleine Buch hatte lange einen starken
Einfluß auf seine Handlungen und Gesinnung¬
gen: denn was er las, das suchte er auch gleich
auszuüben. Daher las er auf jeden Tag in der
Woche sehr gewissenhaft den Abend- und Mor¬
gensegen, weil im Katechismus stand, man
müsse ihn lesen; auch vergaß er nicht, das Kreuz
dabey zu machen, und das walte zu sagen, wie
es im Katechismus befohlen war.

Sonst sahe er nicht viel von Frömmigkeit,
ob er gleich immer viel davon reden hörte, und
seine Mutter ihn alle Abend einsegnete, und nie¬
mals vergaß, ehe er einschlief, das Zeichen des
Kreuzes über ihn zu machen.

Der Herr v. F. hatte unter andern die geist¬
lichen Lieder der Madam Guion ins Deutsche
übersetzt, und Antons Vater, der musikalisch

Wenn er, wie natuͤrlich, ſich zuweilen vergaß,
und einmal, wenn er Linderung an ſeinem Fuße
fuͤhlte, umher ſprang oder lief, ſo fuͤhlte er dar¬
uͤber die heftigſten Gewiſſensbiſſe, und es war
ihm immer, als ſey er nun ſchon einige Stufen
wieder zuruͤckgekommen.

Dieſes kleine Buch hatte lange einen ſtarken
Einfluß auf ſeine Handlungen und Geſinnung¬
gen: denn was er las, das ſuchte er auch gleich
auszuuͤben. Daher las er auf jeden Tag in der
Woche ſehr gewiſſenhaft den Abend- und Mor¬
genſegen, weil im Katechismus ſtand, man
muͤſſe ihn leſen; auch vergaß er nicht, das Kreuz
dabey zu machen, und das walte zu ſagen, wie
es im Katechismus befohlen war.

Sonſt ſahe er nicht viel von Froͤmmigkeit,
ob er gleich immer viel davon reden hoͤrte, und
ſeine Mutter ihn alle Abend einſegnete, und nie¬
mals vergaß, ehe er einſchlief, das Zeichen des
Kreuzes uͤber ihn zu machen.

Der Herr v. F. hatte unter andern die geiſt¬
lichen Lieder der Madam Guion ins Deutſche
uͤberſetzt, und Antons Vater, der muſikaliſch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0032" n="22"/>
      <p>Wenn er, wie natu&#x0364;rlich, &#x017F;ich zuweilen vergaß,<lb/>
und einmal, wenn er Linderung an &#x017F;einem Fuße<lb/>
fu&#x0364;hlte, umher &#x017F;prang oder lief, &#x017F;o fu&#x0364;hlte er dar¬<lb/>
u&#x0364;ber die heftig&#x017F;ten Gewi&#x017F;&#x017F;ensbi&#x017F;&#x017F;e, und es war<lb/>
ihm immer, als &#x017F;ey er nun &#x017F;chon einige Stufen<lb/>
wieder zuru&#x0364;ckgekommen.</p><lb/>
      <p>Die&#x017F;es kleine Buch hatte lange einen &#x017F;tarken<lb/>
Einfluß auf &#x017F;eine Handlungen und Ge&#x017F;innung¬<lb/>
gen: denn was er las, das &#x017F;uchte er auch gleich<lb/>
auszuu&#x0364;ben. Daher las er auf jeden Tag in der<lb/>
Woche &#x017F;ehr gewi&#x017F;&#x017F;enhaft den Abend- und Mor¬<lb/>
gen&#x017F;egen, weil im Katechismus &#x017F;tand, man<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e ihn le&#x017F;en; auch vergaß er nicht, das Kreuz<lb/>
dabey zu machen, und <hi rendition="#fr">das walte</hi> zu &#x017F;agen, wie<lb/>
es im Katechismus befohlen war.</p><lb/>
      <p>Son&#x017F;t &#x017F;ahe er nicht viel von Fro&#x0364;mmigkeit,<lb/>
ob er gleich immer viel davon reden ho&#x0364;rte, und<lb/>
&#x017F;eine Mutter ihn alle Abend ein&#x017F;egnete, und nie¬<lb/>
mals vergaß, ehe er ein&#x017F;chlief, das Zeichen des<lb/>
Kreuzes u&#x0364;ber ihn zu machen.</p><lb/>
      <p>Der Herr v. F. hatte unter andern die gei&#x017F;<lb/>
lichen Lieder der Madam Guion ins Deut&#x017F;che<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;etzt, und Antons Vater, der mu&#x017F;ikali&#x017F;ch<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0032] Wenn er, wie natuͤrlich, ſich zuweilen vergaß, und einmal, wenn er Linderung an ſeinem Fuße fuͤhlte, umher ſprang oder lief, ſo fuͤhlte er dar¬ uͤber die heftigſten Gewiſſensbiſſe, und es war ihm immer, als ſey er nun ſchon einige Stufen wieder zuruͤckgekommen. Dieſes kleine Buch hatte lange einen ſtarken Einfluß auf ſeine Handlungen und Geſinnung¬ gen: denn was er las, das ſuchte er auch gleich auszuuͤben. Daher las er auf jeden Tag in der Woche ſehr gewiſſenhaft den Abend- und Mor¬ genſegen, weil im Katechismus ſtand, man muͤſſe ihn leſen; auch vergaß er nicht, das Kreuz dabey zu machen, und das walte zu ſagen, wie es im Katechismus befohlen war. Sonſt ſahe er nicht viel von Froͤmmigkeit, ob er gleich immer viel davon reden hoͤrte, und ſeine Mutter ihn alle Abend einſegnete, und nie¬ mals vergaß, ehe er einſchlief, das Zeichen des Kreuzes uͤber ihn zu machen. Der Herr v. F. hatte unter andern die geiſt¬ lichen Lieder der Madam Guion ins Deutſche uͤberſetzt, und Antons Vater, der muſikaliſch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/32
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/32>, abgerufen am 04.12.2024.