Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Schlössern und Thürmen, oder mitten im wil¬
den Kriegsgetümmel sich befand.

Mit einer Art von wehmüthiger Freude laß
er nun, wenn Helden fielen, es schmerzte ihn
zwar, aber doch däuchte ihm, sie mußten fallen.
Dieß mochte auch wohl einen großen Einfluß
auf seine kindischen Spiele haben. Ein Fleck
voll hochgewachsener Nesseln oder Disteln waren
ihm so viele feindliche Köpfe, unter denen er
manchmal grausam wüthete, und sie mit seinem
Stabe einen nach dem andern herunter hieb.

Wenn er auf der Wiese ging, so machte er
eine Scheidung, und ließ in seinen Gedanken
zwey Heere gelber oder weißer Blumen gegen¬
einander anrücken. Den größten unter ihnen
gab er Namen von seinen Helden, und eine
benannte er auch wohl von sich selber. Dann
stellte er eine Art von blinden Fatum vor, und
mit zugemachten Augen hieb er mit seinem
Stabe, wohin er traf.

Wenn er dann seine Augen wieder eröffnete,
so sah er die schreckliche Zerstörung, hier lag ein
Held und dort einer auf den Boden hingestreckt,
und oft erblickte er mit einer sonderbaren weh¬

C 2

Schloͤſſern und Thuͤrmen, oder mitten im wil¬
den Kriegsgetuͤmmel ſich befand.

Mit einer Art von wehmuͤthiger Freude laß
er nun, wenn Helden fielen, es ſchmerzte ihn
zwar, aber doch daͤuchte ihm, ſie mußten fallen.
Dieß mochte auch wohl einen großen Einfluß
auf ſeine kindiſchen Spiele haben. Ein Fleck
voll hochgewachſener Neſſeln oder Diſteln waren
ihm ſo viele feindliche Koͤpfe, unter denen er
manchmal grauſam wuͤthete, und ſie mit ſeinem
Stabe einen nach dem andern herunter hieb.

Wenn er auf der Wieſe ging, ſo machte er
eine Scheidung, und ließ in ſeinen Gedanken
zwey Heere gelber oder weißer Blumen gegen¬
einander anruͤcken. Den groͤßten unter ihnen
gab er Namen von ſeinen Helden, und eine
benannte er auch wohl von ſich ſelber. Dann
ſtellte er eine Art von blinden Fatum vor, und
mit zugemachten Augen hieb er mit ſeinem
Stabe, wohin er traf.

Wenn er dann ſeine Augen wieder eroͤffnete,
ſo ſah er die ſchreckliche Zerſtoͤrung, hier lag ein
Held und dort einer auf den Boden hingeſtreckt,
und oft erblickte er mit einer ſonderbaren weh¬

C 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0045" n="35"/>
Schlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern und Thu&#x0364;rmen, oder mitten im wil¬<lb/>
den Kriegsgetu&#x0364;mmel &#x017F;ich befand.</p><lb/>
      <p>Mit einer Art von wehmu&#x0364;thiger Freude laß<lb/>
er nun, wenn Helden fielen, es &#x017F;chmerzte ihn<lb/>
zwar, aber doch da&#x0364;uchte ihm, &#x017F;ie mußten fallen.<lb/>
Dieß mochte auch wohl einen großen Einfluß<lb/>
auf &#x017F;eine kindi&#x017F;chen Spiele haben. Ein Fleck<lb/>
voll hochgewach&#x017F;ener Ne&#x017F;&#x017F;eln oder Di&#x017F;teln waren<lb/>
ihm &#x017F;o viele feindliche Ko&#x0364;pfe, unter denen er<lb/>
manchmal grau&#x017F;am wu&#x0364;thete, und &#x017F;ie mit &#x017F;einem<lb/>
Stabe einen nach dem andern herunter hieb.</p><lb/>
      <p>Wenn er auf der Wie&#x017F;e ging, &#x017F;o machte er<lb/>
eine Scheidung, und ließ in &#x017F;einen Gedanken<lb/>
zwey Heere gelber oder weißer Blumen gegen¬<lb/>
einander anru&#x0364;cken. Den gro&#x0364;ßten unter ihnen<lb/>
gab er Namen von &#x017F;einen Helden, und eine<lb/>
benannte er auch wohl von &#x017F;ich &#x017F;elber. Dann<lb/>
&#x017F;tellte er eine Art von blinden Fatum vor, und<lb/>
mit zugemachten Augen hieb er mit &#x017F;einem<lb/>
Stabe, wohin er traf.</p><lb/>
      <p>Wenn er dann &#x017F;eine Augen wieder ero&#x0364;ffnete,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ah er die &#x017F;chreckliche Zer&#x017F;to&#x0364;rung, hier lag ein<lb/>
Held und dort einer auf den Boden hinge&#x017F;treckt,<lb/>
und oft erblickte er mit einer &#x017F;onderbaren weh¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C 2<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0045] Schloͤſſern und Thuͤrmen, oder mitten im wil¬ den Kriegsgetuͤmmel ſich befand. Mit einer Art von wehmuͤthiger Freude laß er nun, wenn Helden fielen, es ſchmerzte ihn zwar, aber doch daͤuchte ihm, ſie mußten fallen. Dieß mochte auch wohl einen großen Einfluß auf ſeine kindiſchen Spiele haben. Ein Fleck voll hochgewachſener Neſſeln oder Diſteln waren ihm ſo viele feindliche Koͤpfe, unter denen er manchmal grauſam wuͤthete, und ſie mit ſeinem Stabe einen nach dem andern herunter hieb. Wenn er auf der Wieſe ging, ſo machte er eine Scheidung, und ließ in ſeinen Gedanken zwey Heere gelber oder weißer Blumen gegen¬ einander anruͤcken. Den groͤßten unter ihnen gab er Namen von ſeinen Helden, und eine benannte er auch wohl von ſich ſelber. Dann ſtellte er eine Art von blinden Fatum vor, und mit zugemachten Augen hieb er mit ſeinem Stabe, wohin er traf. Wenn er dann ſeine Augen wieder eroͤffnete, ſo ſah er die ſchreckliche Zerſtoͤrung, hier lag ein Held und dort einer auf den Boden hingeſtreckt, und oft erblickte er mit einer ſonderbaren weh¬ C 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/45
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/45>, abgerufen am 01.05.2024.