Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.Wenn er nun manchmal durch seine äußeren Um¬ Wenn er nun manchmal durch ſeine aͤußeren Um¬ <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0105" n="95"/> Wenn er nun manchmal durch ſeine aͤußeren Um¬<lb/> ſtaͤnde traurig und mißmuͤthig gemacht war, und<lb/> ihm keine Lektuͤre ſchmecken wollte, ſo waren die<lb/> Bibel und die Lieder der Madam Guion das<lb/> einzige, wozu er wegen des reizenden Dunkels,<lb/> das ihm darin herrſchte, ſeine Zuflucht nahm.<lb/> Ihm ſchimmerte durch den Schleier des raͤthſel¬<lb/> haften Ausdrucks ein unbekanntes Licht entgegen,<lb/> das ſeine erſtorbne Phantaſie wieder anfriſchte<lb/> — aber mit dem eigentlichen Fromm ſeyn oder<lb/> dem beſtaͤndigen Denken an Gott wollte es dem¬<lb/> ohngeachtet nicht mehr recht fort. — In den<lb/> Verbindungen worin er jetzt war, bekuͤmmerte<lb/> man ſich eben nicht mehr um ſeinen Seelenzu¬<lb/> ſtand, und er hatte in der Schule und im Chore<lb/> viel zu viel Zerſtreuung, als daß er auch nur eine<lb/> Woche lang ſeiner Neigung zum ununterbrochnen<lb/> In ſich gekehrt ſeyn haͤtte getreu bleiben koͤnnen.<lb/> Indes beſuchte er doch den Greis vor ſeinem<lb/> Tode noch verſchiedenemale, bis er auch einmal<lb/> zu ihm gehen wollte, und erfuhr, daß er todt<lb/> und begraben ſey — ſeine letzten Worte waren<lb/> geweſen: alles! alles! alles! — dieſe Worte er¬<lb/> innerte ſich Reiſer oft mitten im Gebet, oder<lb/></p> </body> </text> </TEI> [95/0105]
Wenn er nun manchmal durch ſeine aͤußeren Um¬
ſtaͤnde traurig und mißmuͤthig gemacht war, und
ihm keine Lektuͤre ſchmecken wollte, ſo waren die
Bibel und die Lieder der Madam Guion das
einzige, wozu er wegen des reizenden Dunkels,
das ihm darin herrſchte, ſeine Zuflucht nahm.
Ihm ſchimmerte durch den Schleier des raͤthſel¬
haften Ausdrucks ein unbekanntes Licht entgegen,
das ſeine erſtorbne Phantaſie wieder anfriſchte
— aber mit dem eigentlichen Fromm ſeyn oder
dem beſtaͤndigen Denken an Gott wollte es dem¬
ohngeachtet nicht mehr recht fort. — In den
Verbindungen worin er jetzt war, bekuͤmmerte
man ſich eben nicht mehr um ſeinen Seelenzu¬
ſtand, und er hatte in der Schule und im Chore
viel zu viel Zerſtreuung, als daß er auch nur eine
Woche lang ſeiner Neigung zum ununterbrochnen
In ſich gekehrt ſeyn haͤtte getreu bleiben koͤnnen.
Indes beſuchte er doch den Greis vor ſeinem
Tode noch verſchiedenemale, bis er auch einmal
zu ihm gehen wollte, und erfuhr, daß er todt
und begraben ſey — ſeine letzten Worte waren
geweſen: alles! alles! alles! — dieſe Worte er¬
innerte ſich Reiſer oft mitten im Gebet, oder
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